01.12.2024, 20:40
Delikt „Politikerbeleidigung“ ist Bürgerdiskriminierung
1. Dezember 2024
72 Jahre hat die Bundesrepublik unbeschädigt ohne den § 188 existiert, 72 Jahre haben Beleidigungen, üble Nachreden oder Verleumdung für Politiker wie für Wahlbürger rechtlich keine unterschiedlichen Folgen gezeitigt (Foto: Ex-Zeitsoldat Stefan Niehoff mit seiner Tochter Alexandra).
Von WOLFGANG HÜBNER | Nichts könnte die Entfremdung der politischen Klasse in Deutschland vom Volk greller dokumentieren als der 2021 eingeführte Straftatbestand der Politikerbeleidigung. Dieses Gesetzesprodukt aus der Spätphase der Merkel-Zeit, gültig seit April 2021, ist eine Anmaßung jener Klasse, die das Volk offenbar einschüchtern will. Das hat zum Missbrauch geradezu eingeladen und folglich wird es auch massiv missbraucht, vor allem von Figuren wie Robert Habeck oder Marie-Agnes Strack-Zimmermann.
Darüber ist nun viel geschrieben worden. Der eigentliche Skandal an dem § 188 des Strafgesetzbuchs mit dem Titel „Gegen Personen des politischen Lebens gerichtete Beleidigung, üble Nachrede und Verleumdung“ ist aber die diesem Paragraphen innewohnende Diskriminierung der nicht politisch tätigen Bürger. Diese sind in ihrer Gesamtheit der Souverän, aus deren Reihen Politiker durch Wahlen bestimmt werden. Zu ihrem Schutz vor Beleidigung, übler Nachrede und Verleumdung gibt es jedoch mindere strafrechtliche Barrieren und mindere Strafandrohungen im Fall von Verstößen.
72 Jahre hat die Bundesrepublik unbeschädigt ohne den § 188 existiert, 72 Jahre haben Beleidigungen, üble Nachreden oder Verleumdung für Politiker wie für Wahlbürger rechtlich keine unterschiedlichen Folgen gezeitigt. Wer behauptet, das hätte daran gelegen, dass das politische Klima, der Umgang mit Politikern und politischen Gegnern vor 2021 weniger konfrontativ oder weniger hart gewesen sei, beweist nur Unwissen über die Geschichte der BRD nach 1949. Nein, der Grund für diese neue Variante der „Majestätsbeleidigung“ ist die wachsende Kluft zwischen dem Souverän und dem politischen Personal.
Diese Kluft hat sich in den Jahren der Ampelkoalition noch einmal vertieft. Das ist selbstverständlich keine Rechtfertigung, demokratisch legitimierte Politiker nach Belieben zu beleidigen oder zu verleumden. Doch Politiker blieben auch in ihren zeitlich begrenzten Mandaten und Ämtern bis 2021 rechtlich ausreichend geschützte Staatsbürger. Der massive Missbrauch des § 188 erfordert deshalb vom nächsten Bundestag dessen ersatzlose Streichung. Sonst werden wir noch ein Volk von Vorbestraften.
schreibt seit vielen Jahren für diesen Blog, vornehmlich zu den Themen Geopolitik, Linksfaschismus, Islamisierung Deutschlands und Meinungsfreiheit. Der langjährige Stadtverordnete und Fraktionsvorsitzende der „Bürger für Frankfurt“ (BFF) legte zum Ende des Oktobers 2016 sein Mandat im Frankfurter Römer nieder. Der leidenschaftliche Radfahrer ist über und seinen erreichbar. Im Übrigen gilt: „Wer CDU wählt, wählt Krieg!“.
Justiz-Missbrauch: Organisiertes Denunziantentum
1. Dezember 2024
Stefan Niehus und seine Tochter: Sie lassen sich von Grünen-Minister Habeck nicht einschüchtern
Strafanzeigen von Politikern gegen Bürger wegen „Hass und Hetze“ sind inzwischen gängige Praxis. Inzwischen so gängig, dass der Justiz eine Überlastung droht. Wir haben uns die Zahlen angesehen.
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Der berühmte Tropfen, der das Faß zum Überlaufen brachte, hat, zumindest für Robert Habeck, seit dem 12. November 2024 einen Namen und ein Gesicht: Stefan Niehoff, ein grauhaariger Rentner und ehemaliger Bundeswehrfeldwebel. Niehoff steht vor seinem Bauernhof in Franken. Kariertes Hemd, fülliger Bauch. Im Arm hält er fürsorglich seine Tochter. Die kuschelt sich ganz nah an ihren Vater und lächelt.
Niehoff ist der Archetyp eines bodenständigen Deutschen. Und er wurde das Anzeige-Opfer des ehemals charmanten, jetzt dünnhäutig gewordenen Wirtschafsministers Robert Habeck (Grüne). Doch Recherchen dieser Zeitung decken auf: Habeck ist nicht der einzige, der meinungsstarke Bürger anzeigt. Niehoff ist nicht das einzige Opfer. Der Familienvater teilt sein Schicksal mit Tausenden von Deutschen. Polizei, Staatsanwaltschaften und Gerichte erscheinen wie willfährige Handlanger. Aus dem PR-Supergau ist eine Rechtsstaatsdebatte geworden.
„Normal bin ich ein Frühaufsteher, aber an dem Tag war ich irgendwie …“, denkt Niehoff im Gespräch mit dieser Zeitung an den 12. November 2024. Der Dienstag, an dem es morgens an seiner Tür klingelte. „Ich bin raus aus dem Bett, mit geschlossenen Augen sozusagen, bin zum Erker hin, hab auf dem Hof ein Auto stehen sehen, und unten war so eine Gestalt im Hof. Hab gedacht das ist mein Junior. Bin die Treppe runter. Meine Frau und meine Tochter waren mittlerweile auch schon auf. Und dann bums! Ausweis vor das Gesicht. ‘Hausdurchsuchung!’“
Niehoff erinnert sich nicht an sein „Verbrechen“
Polizisten stehen vor Niehoff. Der Rentner bittet die Beamten in die Küche. Sie sei „unaufgeräumt“ gewesen, sagt er rückblickend, und es tut ihm sichtlich leid, erinnert er sich. Und sogleich nimmt er die Polizisten in Schutz. „Ich muß jetzt eines sagen, die beiden Beamten waren in Anbetracht dieser ganzen Umstände super. Ich hatte fast den Eindruck, daß es den beiden peinlich war.“
Dann legen die Polizisten einen Beschluß des Amtsgericht Bamberg auf den Küchentisch, um den sich jetzt die kleine Familie und die beiden Uniformierten versammelt haben. Sie suchen die elektronischen Geräte, von denen aus Niehoff ein Bild im Internet geteilt hatte. In einer satirischen Abwandlung der Werbung einer bekannten Kosmetikfirma ist ein Foto von Habeck zu sehen. Darunter steht „Schwachkopf professional“.
Niehoff erinnert sich nicht, so sagt er der Redaktion, wann er dieses Meme auf X geteilt habe. Er gibt den Beamten sein Tablet mit. Den PC darf er behalten. Er habe „nicht im geringsten, niemals, damit gerechnet“, etwas Strafbares zu posten, sagt Niehoff. Auch den Paragraphen 188 Strafgesetzbuch (StGB) kannte er bisher nicht. „Jetzt ja“, meint er. Auf dem Durchsuchungsbeschluß sind die Paragraphen und StGB aufgeführt.
Paragraph 188 ist ein Corona-Konstrukt
188 ist die Grundlage für das Vorgehen der Beamten. Er wurde vor etwa drei Jahren überarbeitet. Die letzte Änderung stammt aus dem April 2021, zur Corona-Hochzeit. Als die Kritik am Vorgehen der Regierung immer lauter wurde. Nicht in den linearen Medien, versteht sich, sondern im Internet. Dort, wo Otto Normalverbraucher glaubt, seine Meinung noch ungefiltert kundtun zu können.
Genau dagegen wurde die Neufassung des 188ers ins Feld geführt. Der 188er ist eine Einzelnorm, die regelt, daß Beleidigungen, üble Nachrede und Verleumdungen gegen Personen des politischen Lebens mit Freiheitsstrafen bis zu fünf Jahren bestraft werden. Damit privilegiert er Politiker, um „eine Vergiftung des politischen Klimas zu verhindern“. „Majestätsbeleidigung“ sagt der Volksmund. Oder neuerdings „Schwachkopf-Paragraf“. Allerdings vergeht den Angezeigten mit der Zeit das Lachen.
Kubicki als angenehme Ausnahme
Das liegt zum einen an der Anzahl der Anzeigen. Die Redaktion fragte in allen 16 Bundesländern die zuständigen Behörden ab. Demnach verdreifachten sich die Anzeigen seit Inkrafttreten des neugefaßten Paragraphen. Auf der anderen Seite daran, daß eine Tat nach Paragraph 188 auch ohne Strafantrag des Verletzten verfolgt werden kann, „nämlich wenn die Strafverfolgungsbehörde wegen des besonderen öffentlichen Interesses an der Strafverfolgung ein Einschreiten von Amts wegen für geboten hält“, schreiben die wissenschaftlichen Dienste des Bundestages. Allerdings sähe das Gesetz in diesem Fall wiederum eine Rückausnahme vor: Selbst wenn die Strafverfolgungsbehörde ein Einschreiten von Amts wegen für geboten hielte, könne die Tat nicht verfolgt werden, wenn der Verletzte der Strafverfolgung widerspreche. Die Behörden müssen das abfragen.
Wie reagieren nun Politiker auf die inkriminierten Äußerungen der Bürger? Von FDP-Urgestein Wolfgang Kubicki ist bekannt, daß er grundsätzlich keine Anzeigen aufgrund Paragraph 188 erstattet. Und wie steht es mit dem Rest? Die Redaktion fragte bei sechs prominenten Politikern nach. Wir wollten unter anderem wissen: Würden Sie von sich selbst behaupten, mit Kritik umgehen zu können? Welche Erklärung haben Sie dafür, daß Bürger auf Online-Portalen Sie persönlich kritisieren? Halten Sie Ihre Vorgehensweise, mit Hilfe des Paragraphen 188 StGB, für zweckmäßig? Wie müssen sich Bürger den Vorgang der Anzeigenerstattung vorstellen? Und auf welche Höhe sich die Schadensersatz- und Schmerzensgelderträge belaufen? Zu guter Letzt natürlich die Frage, ob die Summen gespendet werden?
Pistorius antwortet nicht
Wir fragten bei Wirtschaftsminister Habeck (805 Anzeigen laut Statista), Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne, 513 Anzeigen), Innenministerin Nancy Faeser (SPD, 0 Anzeigen), Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD, 10 Anzeigen), EU-Parlamentarierin Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP, 250 Anzeigen monatlich laut Business Insider) und den Bundestagsabgeordneten Roderich Kiesewetter (CDU, mindestens 500 Anzeigen laut Welt) an. Die erste, die antwortete, war die Bundesinnenministerin.
Ihre Pressestelle schrieb: „Die Meinungsfreiheit ist elementar für unsere Demokratie und eines der zentralen Grundrechte des Grundgesetzes. Selbstverständlich kann Bundesinnenministerin Faeser mit Kritik umgehen und sieht diese als Teil der öffentlichen Debatte an.“ Die Grenzen der Meinungsfreiheit, insbesondere wenn Straftaten begangen und Rechte anderer verletzt werden, seien durch die Rechtsordnung vorgegeben. Darüber habe im jeweiligen Einzelfall allein die unabhängige Justiz zu entscheiden. „Die Bundesinnenministerin ist, wie andere Politikerinnen und Politiker auch, regelmäßig von Haßkriminalität im Internet betroffen. Wo entsprechende Beiträge strafrechtlich relevant sein können und dem BMI bekannt werden, wird Strafanzeige erstattet.“ Eine Statistik darüber, wie häufig die Ministerin oder das BMI Strafanzeige stelle, führe man nicht. Der Redaktion liegt aber eine Anzeige der Ministerin gegen einen Bürger vor.
Verteidigungsminister Pistorius habe, so die Pressestelle, „aufgrund der aktuellen sicherheitspolitischen Situation“ einen sehr vollen Terminkalender. „Interviewmöglichkeiten (was Ihre Fragen im Grunde sind), bestehen aktuell nicht. Wir prüfen dennoch, ob eine Möglichkeit zur Beantwortung der Fragen besteht und melden uns bei Ihnen.“
„Du kannst dann mit nur wenigen Unterschriften gegen diese Straftaten vorgehen“
Gemeldet hat sich natürlich niemand mehr. Ob die Angeschriebenen mit dem Erstatten von Anzeigen beschäftigt waren oder ob sie gerade Werbung für Start-Ups kreierten, die als eine Art Tipgeber fungieren, um Anzeigen gegen Bürger durchzusetzen? Wer weiß das schon. Sicher ist allerdings, daß am 20. November 2024 Florian Warweg für die „Nachdenkseiten“ in der Regierungspressekonferenz den Sprecher von Robert Habeck (seit 2021 über 805 Anzeigen aufgrund Paragraph 188) folgendes fragte: „Bundeswirtschaftsminister Habeck arbeitet mit dem Abmahn-Start-up So Done zusammen.“ Warweg wollte nun wissen, wie hoch die Summe sei, die Minister Habeck an den Anzeigen verdient hat.
Dazu muß man wissen, daß So Done eine GmbH ist, 2022 in Rheine gegründet wurde, nun in diesem Jahr den dritten Preis im Gründungswettbewerb MUT des Bundeslandes Nordrhein-Westfalen gewann und zu deren Gründern Franziska Brandmann gehört. Die wiederum ist auch seit 2021 Bundesvorsitzende der FDP-nahen Jugendorganisation Junge Liberale. Das Geschäftsmodell: Mit Hilfe von Künstlicher Intelligenz spürt die GmbH Beleidigungen im Netz auf.
Der Beleidigte oder Bedrohte mandatiert So Done, und die leiten die entdeckten Meldungen an eine Kanzlei weiter. „Die Kanzlei nimmt eine rechtliche Überprüfung der Kommentare vor und erstellt einen Sammelstrafantrag mit den Kommentaren, die sie als Online-Straftat gegen dich bewertet“, heißt es auf der Internetseite von So Done. „Du kannst dann mit nur wenigen Unterschriften gegen diese Straftaten vorgehen.“
Habeck-Sprecher gibt sich unschuldig
Bei einer selbsterklärten Erfolgsquote im Gerichtsverfahren von 95 Prozent kann die Klagefirma sogar damit werben, die Prozeßkosten in jedem Fall zu übernehmen. In der Galerie erklären dreizehn Politpromis, Journalisten, Fußballer und Aktivisten mit Foto, Namen, Funktion, warum Haß und Hetze im Netz schlecht ist. Warum So Done deshalb gut ist. 591 Euro erstreitet die Abmahnagentur an durchschnittlicher Entschädigung, die dann eins zu eins geteilt werden. Insgesamt 7.816 Haßkommentare habe man bis September 2024 angezeigt. Etwa 4,6 Millionen Euro kommen rechnerisch so zusammen.
Eine Antwort bekam Warweg nicht. Schlimmer, als der Journalist fragte: „Hier wirbt also ein Bundesminister für ein privates Start-up. Können Sie mir darlegen, wieso solch ein Agieren nach Ansicht des BMWK nicht gegen die Verhaltensregeln von Bundesministern verstößt?“, war die Antwort von Habecks Sprecher: „Ich weise das zurück. Mir liegt aber auch dazu kein weiterer Stand vor.“ Allerdings wurde die Funktion unter dem Habeck-Foto auf der So-Done-Seite geändert. Statt Bundesminister für Wirtschaft und Klimaschutz steht jetzt „Mitglied des Deutschen Bundestags“. Übrigens gab es auch ein Foto samt Zitat von Hendrik Wüst, Ministerpräsident von NRW. Das ist weg. Nach eigener Angabe hat So Done beides zur Vermeidung von möglichen Mißverständnissen entfernt.
Das Justizministerium finanziert Denunziantenvereine
Doch dieses privatwirtschaftliche Haß-Inkasso-Büro kostet wenigstens den Steuerzahler kein Geld.Ganz anders steht es bei den halbstaatlich finanzierten Meldestellen für „Haß und Hetze“, wie „Hate Aid“ und „REspect“ (finanziert vom Bundesland Baden-Württemberg und dem Freistaat Bayern). Die Grünen wiederum betreiben sogar eine parteieigene Ermittlungsstelle, die „Grüne Netzfeuerwehr“.
Der deutsche Richterbund warnt vor einer Überlastung der Justiz. 2023 seien bei den Staatsanwaltschaften mehr als 5,5 Millionen neue Fälle aufgelaufen, 350.000 mehr im Vorjahr zuvor und „so viele wie noch nie“, schreibt die Welt. Zum Jahresende 2023 hätten die Strafverfolger 923.000 offene Verfahren gemeldet, eine Steigerung um ein Viertel. Gründe: Anzeigen wegen Kinderpornographie meist aus den USA, Cannabislegalisierungsgesetz und „Haß und Hetze“.
Doch es wird noch schlimmer! Das Rechtsmagazin „Legal Tribune Online“ (LTO) stellt am 23. November die Frage, ob es rechtspolitisch sinnvoll sei, daß eine Beleidigung von Politikern härter bestraft würde als die „einfacher“ Bürger? Diese Frage stelle sich um so mehr, „da die niedersächsische Justizministerin Kathrin Wahlmann auf der Justizministerkonferenz in der kommenden Woche (Donnerstag, Anm. d. Red.) einen Antrag, der der LTO vorliegt, einbringen will, mit dem die Voraussetzungen der ‘Politikerbeleidigung’ abgesenkt werden sollen.“
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"Wenn Unrecht Gesetz wird,wird Rebellion Pflicht."
Der Klartexter
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