17 Nov. 2024
Ein Mann teilt in einem sozialen Netzwerk ein Meme, in dem ein Minister als "Schwachkopf" bezeichnet wird, und bekommt Besuch von der Polizei. Hinter diesem Vorgang steckt nicht einfach ein zartbesaiteter Politiker, sondern eine Firma, die mit KI das Netz gezielt nach Beleidigungen durchsucht.
805 und 513 Strafanzeigen: Robert Habeck und Annalena Baerbock auf dem Parteitag der Grünen am Sonntag in Wiesbaden - Quelle: © IMAGO/Eibner-Pressefoto/Florian
Vor einigen Tagen sorgte die Meldung über eine Hausdurchsuchung bei einem Rentner für Aufsehen, der ein Meme über den Grünen-Wirtschaftsminister Robert Habeck retweetet hatte. Darin wurde die Werbung der Haarpflege-Marke Schwarzkopf persifliert: Statt "Schwarzkopf Professional" hieß es dort "Schwachkopf Professional", darüber prangte das Foto eines grinsenden Habeck. Die Polizei beschlagnahmte Computer und Telefone des Mannes.
In diesem Zusammenhang wurde bekannt, dass der frisch gekürte Kanzlerkandidat der Grünen in den drei Jahren von September 2021 bis August 2024 insgesamt 805 Strafanzeigen gestellt hat. Nur seine Parteifreundin, Außenministerin Annalena Baerbock bewegt sich mit 513 Anzeigen unter den Ministern in einer ähnlichen Größenordnung.
https://x.com/FlorianGallwitz/status/185...n%5Es1_c10
Habeck bedient sich für seine Anzeigen der Dienste der Abmahn-Firma "So Done", die auf ihrer Webseite auch mit einer Aussage des Kinderbuchautors für sich :
"Viele Politikerinnen und Politiker, aber auch viele weitere Personen des öffentlichen Lebens sind täglich Hass, Beleidigungen bis hin zu Todesdrohungen ausgesetzt. Ich habe mich entschieden, das nicht zu akzeptieren und somit zu normalisieren, sondern gemeinsam mit So Done konsequent gegen Beleidigungen und Bedrohungen vorzugehen, die Recht und Gesetz verletzen. Ich will damit der Zerstörung des demokratischen Diskurses etwas entgegensetzen und zeigen, dass der Rechtsstaat durchsetzungsfähig ist."
Screenshot:
Habeck ist nicht der einzige prominente Politiker, der die Dienste von "So Done" nutzt. Die EU-Abgeordnete und Rüstungslobbyistin Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP), der Abgeordnete Ralf Stegner (SPD), der eskalationsfreudige Abgeordnete Roderich Kiesewetter (CDU) und der Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen, Hendrik Wüst (CDU), werden auf der Seite mit ähnlichen Aussagen präsentiert – wie übrigens auch der NATO- und Talkshow-affine Wissenschaftler Carlo Masala.
Gegründet wurde die Firma im Jahr 2022 von Franziska Brandmann, der Bundesvorsitzenden der Jungen Liberalen. Einer ihrer Kompagnons, der Anwalt Alexander Brockmeier, saß für die FDP von 2017 bis 2022 im nordrhein-westfälischen Landtag. Marcel Schliebs, der dritte der drei Partner, wird als Datenanalyst beschrieben.
"So Done" ist nicht einfach eine Abmahnfirma wie andere auch. Sie bedient sich für diese Arbeit Künstlicher Intelligenz, die das Internet nach strafwürdigen Kommentaren durchforstet. In der Selbstdarstellung der Firma das so:
"Unsere Künstliche Intelligenz durchsucht öffentliche Kommentare, die sich auf dich beziehen, nach strafrechtlicher Relevanz. Sie ist auf deutsches Strafrecht trainiert und innerhalb von zwei Jahren stetig verbessert worden, lernt inzwischen selbst. Wenn Die KI Kommentare als strafrechtlich relevant einschätzt, gehen nochmal extra dafür geschulte Mitarbeiter über die Kommentare. Die potenziellen Beleidigungen werden dann zur rechtlichen Prüfung an eine Kanzlei weitergeleitet. Du erhältst von dieser eine Übersicht über die so herausgefilterten Beleidigungen und Drohungen und kannst diese mit nur einer Unterschrift zur Anzeige bringen."
Dann geht es weiter:
"Die Kanzlei 'So Done legal' wird aktiv, bewertet die potentiellen Beleidigungen und legt dir einen Sammelstrafantrag vor. Du kannst dann entscheiden, gegen welche Kommentare du einen Strafantrag stellen willst. Die Kanzlei kümmert sich darum, dass dein Strafantrag bei den zuständigen Behörden landet und vertritt dich sowohl im Strafverfahren als auch im Zivilverfahren. Die Kanzlei beantragt Einsicht in die Ermittlungsakten, sobald dies möglich ist – und fordert ermittelte Täter dann dazu auf, deine Ansprüche auf Löschung des Kommentars, Unterlassung der Äußerung in der Zukunft sowie Geldentschädigung zu erfüllen. Weigern sich die Täter, dann geht SO DONE legal im Zweifel auch für dich vor Gericht. Dort hat die Kanzlei in von uns finanzierten Verfahren aktuell eine Erfolgsquote von über 95 Prozent."
Schließlich lockt die Firma potenzielle Kunden mit einer Gewinnbeteiligung:
"Wenn der Täter eine Geldentschädigung zahlen muss, erhältst du von dieser 50 Prozent. Die anderen 50 Prozent nutzen wir, um unser Unternehmen zu finanzieren und weitere Prozesse zu führen. Du bist in jedem Fall nur im Erfolgsfall beteiligt – Sollte es nicht zu einer Geldentschädigung, wohl aber zu Kosten kommen, übernehmen wir das für dich. Du kannst also garantiert nur gewinnen."
Auf ihrer Seite beziffert die Firma ihre bisherigen Erfolge ganz konkret.
- "7.816 angezeigte Hasskommentare"
- "95 Prozent Erfolg in von uns geführten Gerichtsverfahren"
- "591 Euro durchschnittlich erstrittene Geldentschädigung"
Multipliziert man die Anzahl der Anzeigen mit der durchschnittlichen Geldentschädigung, ergibt sich ein mittlerer einstelliger Millionenbetrag.
Natürlich geht es dem Unternehmen der Politiker dabei nicht ums Geld, sondern um die Bekämpfung von "Hass im Netz". Jedenfalls wird das in der Selbstdarstellung behauptet:
"Wir sind Verfechter unseres Rechtsstaates. Der Rechtsstaat ist für uns eine riesige und bedeutsame Errungenschaft, die uns erlaubt, dass alle Menschen in unserer Gesellschaft friedlich miteinander leben können. Leider nehmen wir wahr, dass der Rechtsstaat bisher im digitalen Raum kaum durchgesetzt wird. Das liegt daran, dass Opfer von Online-Hass bisher keine Möglichkeit haben, effektiv gegen die Täter vorzugehen. Das ändern wir. Weil wir es satt haben, dass Menschen willkürlich andere Menschen mit Beleidigungen und Drohungen überziehen und damit einfach durchkommen. Weil wir sehen, wie die Masse an Online-Hass unseren Diskurs und unsere Gesellschaft verroht. Weil wir uns zwischen dich und den Hass stellen wollen."
Mit seinem "innovativen und gesellschaftlich relevanten Konzept" "So Done" 2024 den dritten Platz des Gründungspreises NRW – und damit ein Preisgeld von 10.000 Euro.
Doch nicht jeder ist vom Nutzen des Konzepts und der Uneigennützigkeit der Gründer überzeugt. So wird selbst in einem wohlwollenden Tagesschau-Bericht vom September darauf verwiesen, dass die massenhaft erstellten Anzeigen die ohnehin mit Ressourcen- und Personalmangel kämpfenden Behörden überfordern könnten. Ein X-Nutzer fasste den eingangs beschriebenen Fall des Rentners mit dem "Schwachkopf"-Post so zusammen:
"Vielleicht mal drüber nachdenken.
Eine Meldestelle durchforstet Soziale Medien mit Hilfe von KI nach Beleidigungen.
Ein kleiner Account, der einen Minister Schwachkopf nennt, gerät ins Visier.
Der Minister, der die Beleidigung selbst nie gesehen hätte, unterschreibt eine Anzeige.
Vielleicht mal drüber nachdenken.
— Künstliche Intelligenz (@1234Fit) November 16, 2024
Eine Meldestelle durchforstet Soziale Medien mit Hilfe von KI nach Beleidigungen.
Ein kleiner Account, der einen Minister Schwachkopf nennt, gerät ins Visier.
Der Minister, der die Beleidigung selbst nie gesehen hätte, unterschreibt eine…
Die Anzeige landet in einem ganzen Paket Anzeigen des Ministers bei einem Staatsanwalt.
Ein Gericht beschließt eine Hausdurchsuchung.
Polizisten, die mit der Durchführung beauftragt sind, machen sich auf den Weg.
Morgens um 6 Uhr wird ein behindertes Kind aus dem Bett gezerrt. Der Inhaber des kleinen Accounts, der schon schwer über die Runden kommt, muss jetzt auch noch eine Strafe zahlen. Nachbarn tuscheln wochenlang, ob in der Familie vielleicht Drogendealer sind.
Und jeder Angestellte oder Beamte in dieser Prozesskette hat sich ja nur an Recht und Ordnung gehalten und die Anweisungen befolgt."
„Natürlich ist jetzt ‚Schwachkopf‘ nicht die schlimmste Beleidigung, die jemals ausgesprochen wurde“ – Grünen-Kanzlerkandidat Robert Habeck äußert sich zur Diskussion um seine Strafanzeige mit anschließender Hausdurchsuchung. #bdk50 pic.twitter.com/1q7htRw0gG
— Bericht aus Berlin (@ARD_BaB) November 17, 2024
Der als "Schwachkopf" titulierte Minister spielte übrigens seine Rolle in dem erwähnten Vorgang am Rande des Parteitags in Wiesbaden am Sonntag herunter. Im "Bericht aus Berlin" in der ARD sagte Habeck:
"Ich habe mich am Anfang der Legislatur, als es so hart zuging, Beleidigungen, Bedrohungen zur Anzeige zu bringen. Das sind sehr viele. Das wird über Agenturen gefiltert. Und in diesem Fall kam es von der bayerischen Polizei. Natürlich ist jetzt, ähm, 'Schwachkopf' nicht die schlimmste Beleidigung, die jemals ausgesprochen wurde. Was aber dann passiert ist, dass nämlich die Staatsanwaltschaft daraus dann den Laptop oder das Endgerät beschlagnahmt hat, also ins Haus reingegangen ist, hat mit meiner Anzeige nur als Auslösendes, glaube ich, zu tun."
In der Erklärung der Polizei sei von rassistischen oder antisemitischen Hintergründen die Rede gewesen, deswegen glaube er, dass seine Anzeige nur der Auslöser war.
Quelle:
Mehr zum Thema -
Nichtmal ein Schimpfwort: Nur weil eine Frau ein Meme mit Zitaten von Habeck & Co. teilte, die teils sehr ähnlich, aber nicht exakt so gefallen waren, durchsuchte die Polizei ihre Wohnung und beschlagnahmte u.a. den Laptop ihres Sohnes. Apollo News liegen die Dokumente vor. Die Staatsanwaltschaft hat den Fall bestätigt.
Von , ,
Am Morgen des 19. Juni 2023 suchten zwei Polizisten eine Frau aus Bayern an ihrer Arbeitsstelle auf. Sie teilten ihr mit, dass in ihrer Abwesenheit ihre Wohnung in Partenstein durchsucht worden war. Dabei wurden persönliche Geräte, darunter ihr Handy und der Laptop ihres Sohnes, beschlagnahmt. Der Grund für diese Razzia: Die Frau hatte ein Meme geteilt, das sich über führende Politiker der Ampelkoalition lustig machte. Die Staatsanwaltschaft sah darin Anlass, strafrechtlich zu ermitteln. Das bestätige die Behörde gegenüber Apollo News.
Im September 2022 stieß die Frau mit deutsch-rumänischer Staatsbürgerschaft auf eine satirische Bildmontage auf Twitter. Darauf zu sehen: Bundeskanzler Olaf Scholz, Finanzminister Christian Lindner, Außenministerin Annalena Baerbock und Wirtschaftsminister Robert Habeck, versehen mit Zitaten. Diese entsprechen nicht tatsächlichen Aussagen. Apollo News liegt das entsprechende Meme vor, das auch im Durchsuchungsbeschluss des Amtsgerichts Würzburg zitiert wird.
Die Frau teilte das Meme auf Twitter, laut Akten am 10. September 2022. Was die Urheberin als politische Satire verstand, interpretierten die Behörden offenbar als Straftat, und das selbst gänzlich ohne Beleidigung.
Aus den Apollo News vorliegenden Ermittlungsdokumenten geht hervor, dass die Staatsanwaltschaft Würzburg aufgrund des geteilten Memes die Ermittlungen aufnahm. Der Vorwurf: Üble Nachrede und Verleumdung gegen Personen des politischen Lebens.
Der Durchsuchungsbeschluss ordnete die Beschlagnahme von „internetfähigen Endgeräten, insbesondere Laptops, Tablets, Computer und Mobiltelefone nebst SIM-Karten“ an. Die Begründung laut Gerichtsdokument: Die verbreiteten Aussagen seien den Politkern „in den Mund“ gelegt worden. Die Falschzitate seien wegen der „hohen Verbreitung“ geeignet, „das politische Wirken der Geschädigten erheblich zu erschweren und sie in der öffentlichen Meinung herabzuwürdigen“. Die Beschuldigte hätte dies „zumindest billigend in Kauf“ genommen. Gegenüber Apollo News stellte die Staatsanwaltschaft klar, dass sich die Durchsuchung ausschließlich auf diesen einen Vorfall bezog.
Tatsächlich sind die im Meme dargestellten Zitate nicht frei erfunden. Es handelt sich vielmehr um zugespitzte Wiedergaben tatsächlicher Äußerungen der Politiker. Einige sind sehr ähnlich so von den Politikern geäußert worden:
Um dieses Meme geht es
In der ARD-Sendung Maischberger am 6. September 2022 wurde Robert Habeck gefragt, ob er mit einer Insolvenzwelle im Winter rechne. Seine Antwort: „Nein, das tue ich nicht. Ich kann mir vorstellen, dass bestimmte Branchen einfach erst mal aufhören zu produzieren. Habeck erklärte weiter: „Dann sind die nicht insolvent automatisch, aber sie hören vielleicht auf zu verkaufen.“ Aussage aus dem Meme: „Ein Laden der aufhört zu produzieren, ist doch nicht insolvent, er verdient nur kein Geld mehr.“
Annalena Baerbock sagte bei einer Konferenz in Prag am 31. August 2022: „Wenn ich den Menschen in der Ukraine das Versprechen gebe ‚Wir stehen an eurer Seite, solange ihr uns braucht‘, dann will ich das auch einhalten. Egal, was meine deutschen Wähler denken, aber ich will den Menschen in der Ukraine liefern.“ Aussage aus dem Meme: „Egal was die Wähler wollen, auch wenn sie auf die Straße gehen und kein Geld mehr haben, wir stehen zur Ukraine.“
Olaf Scholz wurde mehrfach zu seiner Rolle im Cum-Ex-Skandal befragt. Dort hatte er wiederholt angegeben, sich nicht an Details „erinnern“ zu können. „Konkret an die Sitzung des Ausschusses und deren Verlauf kann ich mich nicht erinnern“, sagte er etwa. Aussage aus dem Meme: „Ich kann mich nicht erinnern, mehrere Millionen unterschlagen zu haben“.
Und Christian Lindner hat als Finanzminister wiederholt eine Übergewinnsteuer abgelehnt. „Das Steuerrecht müsse vor Willkür geschützt werden“, sagte Lindner im August 2022. Aussage aus dem Meme: „Keine Übergewinnsteuer, Reiche sollten nicht mehr zahlen“.
In den Akten wird der Account der Beschuldigten auf Twitter namentlich genannt, ebenso wie das genaue Datum des Posts. Im Durchsuchungsbeschluss heißt es: „Wegen des besonderen öffentlichen Interesses an der Strafverfolgung hält die Staatsanwaltschaft ein Einschreiten von Amts für geboten.“ Damit liege eine Strafbarkeit wegen „gegen Personen des öffentlichen Lebens gerichteter übler Nachrede“ in vier Fällen in Raum.
Weiter heißt es im Ermittlungsdokument: „Die Maßnahmen stehen im angemessenen Verhältnis zur Schwere der Tat und zur Stärke des Tatverdachts. Es ist zu vermuten, dass die Durchsuchung zum Auffinden der Gegenstände führen wird.“
Die Behörden führten aus, dass der Account der Frau auf Twitter zu einer „beachtlichen Reichweite“ beigetragen habe – eine Darstellung, die die Betroffene als „völlig unrealistisch“ zurückweist. Sie habe keine nennenswerte Social-Media-Reichweite. Ein konsultierter Strafverteidiger in Würzburg äußerte sich überrascht. Die Betroffene berichtet: „In seinen 20 Jahren Erfahrung hatte er so etwas noch nie erlebt.“
Nach Angaben der Staatsanwaltschaft Würzburg wurde das Verfahren abgeschlossen. Letztlich akzeptierte die Frau auf Anraten ihres Anwalts eine Geldstrafe von 900 Euro. Zuvor habe sie den Fall noch zu Gericht bringen wollen. Sie erklärt: „Der Strafverteidiger empfahl mir jedoch, die Strafe zu akzeptieren, da der Staatsanwalt ein Exempel statuieren wollte, selbst wenn wir vor Gericht gewinnen sollten.“ Die Betroffene ist alleinerziehende Mutter.
Dieser Fall reiht sich ein in eine besorgniserregende Entwicklung. Allein Robert Habeck und Annalena Baerbock haben über ihre Ministerien zusammen über 1.300 Anzeigen gestellt. Meist ging es dabei um vermeintliche Beleidigungen im Internet. Weiterhin sorgt die sogenannte „Schwachkopf“-Affäre für Schlagzeilen.
Robert Habeck stellte Strafantrag wegen einer Beleidigung auf der Plattform X, nachdem ein 64-jähriger Mann ihn als „Schwachkopf“ bezeichnet hatte. Die Staatsanwaltschaft Bamberg erwirkte daraufhin einen Durchsuchungsbeschluss und ließ die Wohnung des Verdächtigen durchsuchen (Apollo News berichtete , und ).
Quelle:
Der Klartexter