26.06.2023, 21:29
Die Rolle der NGOs – oder wie die simulierte Demokratie die reale erdrückt
26 Juni 2023
Mittlerweile hat man in Deutschland das Gefühl, Politik und öffentliche Meinung wären eine Art Waschmaschinenprogramm. Irgendjemand drückt auf den Knopf, und dann wird eingeseift, gespült und geschleudert, und bei Bedarf geht es in die nächste Runde.
Greenpeace-Demonstration: drei Leute, zwanzig Fotografen; Berlin, 21. Juni 2023. - Quelle: © Jutta Prechtel
Von Dagmar Henn
Warum verbietet Russland den WWF? Warum werden in Deutschland die Klimakleber so viel freundlicher behandelt, als es einst gegenüber jenen üblich war, die Atomwaffenlager blockierten? Und wie kommt es dazu, dass sich inzwischen die politischen Interessen der Reichen vollständig durchsetzen?
Diese Themen hängen alle zusammen, und sie haben mit dem Stichwort NGO (Nichtregierungsorganisation) zu tun. Und auch mit einer Entkernung demokratischer Prozesse, die inzwischen auf hohen Touren läuft, mit einem eingebauten Selbstverstärker.
Dabei muss man zugeben, Demokratie ist langweilig und anstrengend. Sie macht vor allem jenen, die demokratische Entscheidungen vorbereiten, viel Arbeit. Es ist nicht nur im Bundestag so, dass man für einen Beschluss über einen Antrag eine schriftliche Vorlage braucht, damit man den Inhalt wirklich diskutieren kann; diese Vorlage sollte auch nicht erst auf einer Versammlung zugehen. Wenn sich mehr als fünf Leute versammeln, muss außerdem ein Raum organisiert werden, ab fünfzig eine Lautsprecheranlage, und in jeder Form von Partei oder auch nur Verein braucht es Protokolle, Konten, und zuletzt – Geld. Das alles wird aufgewandt, damit Menschen eine Stellung zu Themen beziehen, die sie unter Umständen nicht wirklich interessieren. Oder Kandidaten aufstellen, die ohnehin keine Chance haben.
Das klingt schon furchtbar. Aber Demokratie, gleich wo, hat eine Voraussetzung: Information – und eine zweite: Zeit. Wie demokratisch eine Versammlung ist, lässt sich unter anderem an der Redezeit erkennen, die jedem Teilnehmer einer Debatte zugestanden wird. Bundesparteitage parlamentarischer Parteien liegen meist bei drei Minuten. Das bedeutet, völlig neue Fragen kann man gar nicht aufwerfen, weil die Zeit nicht reicht, selbst wenn man es schon geschafft hat, delegiert zu werden und dann auch noch das Wort erteilt zu bekommen.
Also kann man das ganze nervende Zeug doch einfach lassen, oder? Nein, kann man nicht. Denn wenn gesellschaftliche, wirtschaftliche Macht ungleich verteilt ist, haben die Unteren nur einen Joker – ihre schiere Zahl. Damit diese Zahl wirksam werden kann, brauchen sie Organisation. Und damit diese Organisation weder von den Eigeninteressen eventueller Hauptamtlicher noch von außen manipuliert werden kann, und damit sie über Handlungsfähigkeit politische Wirksamkeit entfalten kann, braucht sie viel Demokratie; denn es geht um eine Zusammenarbeit von Gleichen, nicht um eine Kommandostruktur wie in Betrieben und beim Militär.
Man kann es unschwer erkennen: Als Gegenpol zu diesen Mühen braucht es auch Erfolge. Die dauern normalerweise; hinter der Einführung eines Sozialtickets in München steckten drei Jahre politischer Arbeit, und das ist eine kleine Frage auf der untersten politischen Ebene.
Und da kommen nun die NGOs ins Spiel. Als Greenpeace, gewissermaßen der Eisbrecher dieser Variante in Deutschland, die ersten Schlagzeilen mit seinen Aktionen machte, erzeugte das große Bewunderung, durch die schnelle Bekanntheit und auch durch die Kühnheit der Aktionen. Jeder, der sich durch das demokratische Prozedere quälte, erblasste vor Neid. Aber erst nach einigen Jahren, die man in dieser mühsamen demokratischen Welt verbracht hat, kann man erkennen, dass es für Erfolge wie die von Greenpeace drei Dinge braucht: professionelle Planung, die auf diesem Niveau nur funktioniert, wenn die Planer davon auch leben können, also bezahlt werden; viel Geld, um alles erforderliche Material zu haben; und dann noch Sympathien in der Medienlandschaft, wobei egal ist, ob die echt oder erkauft sind.
Demokratische Strukturen? Wehrt man damit ab, dass diese der nötigen Geheimhaltung für solche Aktionen im Weg stünden. Und schon verrutschen die Erwartungen für das Verhältnis zwischen Aufwand und Wirkung, und die langweiligen Sitzungen werden noch etwas langweiliger. Denn eigentlich wäre man doch auch gerne auf den bunten Fotos von den kühnen Aktionen.
Aktionen, die Aufmerksamkeit erregten, gab es schon wesentlich früher. Man denke an Manolis Glezos, der im besetzten Athen 1941 auf der Akropolis die Hakenkreuzfahne herunterriss. Oder die Jugendlichen, die 1950 Helgoland besetzten, das von den Briten als Bombenübungsgelände genutzt wurde. Aber hinter diesen sichtbaren Handlungen standen immer ganze Organisationen. Das Symbol hatte einen sozialen Inhalt.
Organisationen wie Greenpeace tauchten auf, ohne einen solchen Inhalt zu besitzen. Man durfte Geld spenden, später eine Zeitung abonnieren, aber nicht mitentscheiden oder mitmachen. Ein klassischer Verein, die Kernstruktur der gesellschaftlichen Organisation in Deutschland, bietet immer beide Optionen, unterschiedliche Formen der Beteiligung. Selbst Kirchen tun das in unterschiedlichem Ausmaß – man kann zu Weihnachten mal vorbeikommen, man kann aber auch im Gemeindevorstand arbeiten.
Nun gibt es für eine Wirksamkeit, die den eher langsamen und bescheidenen Durchschnitt übertrifft, nur zwei Möglichkeiten – entweder eine größere Zahl Menschen arbeitet sehr eng zusammen und verbringt überproportional viel Zeit mit der Sache, um die es geht; oder es gibt irgendwie viel Geld und es werden Menschen dafür bezahlt. Jeder, der so etwas schon einmal organisiert hat, konnte erkennen, dass der Maidan mit viel Geld aufgeblasen wurde; die Lautsprecheranlage war eines der Indizien dafür. Je weniger Menschen diese Kenntnisse haben, desto schwerer setzt sich solches Wissen allerdings in der Gesellschaft durch.
Die künstlichen Strukturen, die nur mit Geld aufgezogen werden, schaffen es leicht, ihre Anliegen in die Medien zu bringen. Viel leichter, als es wirklichen Organisationen von unten gelingt. Wenn die eigene Reichweite durch die Zahl der Flugblätter begrenzt ist, der Konkurrent um die politische Aufmerksamkeit aber in den Fernsehnachrichten landet, obwohl wesentlich weniger Menschen dahinter stehen, welche Auswirkungen hat das langfristig? Wenn die Aktionen, mit denen man Aufmerksamkeit suchen kann, durch den Mangel an Mitteln scharf begrenzt sind?
Es entmutigt viele, die überlegen, ob sie sich in irgendeiner Weise politisch einmischen wollen. Es schwächt die Ausdauer all jener, die es dennoch tun, ohne sich davon ihren Lebensunterhalt zu erwarten. Und es führt am Ende dazu, dass die Menge irgendwie gesellschaftlich engagierter Menschen immer weiter abnimmt. Vor allem bei unmittelbar politischen Themen.
Tatsächlich sind die großen Massenorganisationen inzwischen weitgehend tot. Die Gewerkschaften existieren nur noch durch ihre hauptamtliche Struktur, haben auf vielen Ebenen Schwierigkeiten, ihre ehrenamtlichen Positionen überhaupt noch zu besetzen, und begreifen sich daher inzwischen fast als Dienstleister, wie eine Art Versicherung für erträgliche Arbeitsverhältnisse. Der Zustand der Parteien ist nicht wesentlich besser. Vereine jedwelcher Art bekamen durch die Lockdowns den Todesstoß. Dafür machen Klimakleber Furore, die tun, als seien sie überparteilich, aber in Wirklichkeit den Grünen zuarbeiten, und die für ihre kriminellen Aktionen auch noch bezahlt werden.
Der Trick dabei ist, so zu tun, als wäre das Thema unpolitisch und beträfe alle. Würde man das mit den Problemen Alleinerziehender versuchen, es würde nicht gelingen; das sind eben die Probleme Alleinerziehender. Da ist es gelungen, alle sozialen Themen aufzuspalten, weil die Gesamtsicht, dass für das Wohl des Landes auch für das Wohl materiell benachteiligter Minderheiten gesorgt werden muss, schon wieder als national verpönt ist.
Man nehme, so der Trick, ein Thema, das als allumfassendes Gutes taugt, wie den Tierschutz oder seit einiger Zeit das Klima. Dann sorgen Kampagnen künstlicher Organisationen dafür, das Thema in der Gesellschaft zu setzen, bis es als das allumfassende Gute anerkannt ist. Und dann erst werden die konkreten Forderungen lanciert, die – wie beispielsweise die CO2-Abgabe – letztlich unmittelbar den Interessen von Kapitalanlegern dienen; zu diesem Zeitpunkt muss allerdings jeder, der versucht, dagegen anzutreten, sich erst einmal durch die Hirsebreimauer des "allumfassenden Guten" fressen. Wie kannst du nur gegen Klimaschutz sein? Gegen Tierschutz? Gegen Menschenrechte?
Dass die Organisationen selbst schon durch ihre Struktur toxisch sind, macht sich erst nach langer Zeit bemerkbar. Und da ist ein Kreislauf, der sich selbst stetig verstärkt. Demokratie ist nämlich nicht nur mühsam, man muss sie lernen. Man muss erlebt haben, dass jemand völlig anderer Meinung und trotzdem sogar ein guter Freund sein kann. Man muss erlebt haben, wie groß der Abstand zwischen Wort und Tat ist. Tat in diesem Sinne bedeutet, tatsächlich eine größere Menge Menschen in Bewegung zu versetzen.
Dass völlig symbolische Handlungen inzwischen politisch wirksam sind, wenn sie den "richtigen" Interessen dienen, hat auch zur Folge, dass das Wort und die Tat gleichgesetzt werden. Ohne die grundlegende soziale Erfahrung führt das dann zur Entstehung dieser Blasen, im weiteren Verlauf dann zur Sortierung des sozialen Umfelds nach Aussagen, dann zu Redeverboten. An dem Punkt sind wir mittlerweile angekommen, und die verschiedenen Spielarten des "allumfassenden Guten", die über die Jahre hinweg ins Spiel gebracht wurden, haben geradezu einen Reflex geschaffen, die künstliche Bewegung für echter zu halten als die echte.
Corona war ein Beispiel. Früher waren große Demonstrationen immer ein Beleg dafür, dass sich nennenswerte Teile der Gesellschaft an einem gewissen Punkt einig waren. Bei der großen Demonstration im Bonner Hofgarten beispielsweise, gegen die Pershing-Raketen. Inzwischen gibt es zwei Sorten von Demonstrationen: Die einen, die mit an der Szenerie der künstlichen Organisationen hängen – wie etwa "Unteilbar" – sind mit einem vorgegebenen entleerten Thema versehen, das man nur noch schlucken oder lassen kann; nicht einmal die Spitzen beteiligter Organisationen dürfen noch mitentscheiden. Oder es ist gleich völlig synthetisch, wie Fridays For Future. Die anderen entstehen amorph, wie die Corona-Proteste, erreichen sogar beträchtliche Größe, werden aber schlicht über die Redeverbote dämonisiert oder gleich ganz verschwiegen. Zu einer wirklichen Organisation kann es in den meisten Fällen gar nicht mehr kommen.
Die Kombination aus Redeverboten, künstlich finanzierter politischer Landschaft und kontrollierten Medien hat zwei Effekte – zum einen werden die auch in der inneren Verfasstheit demokratischen Strukturen weiter geschwächt, was zuallererst die Durchsetzbarkeit der Interessen des ärmeren Teils der Gesellschaft zusätzlich verringert; und zum anderen können diese künstlichen Strukturen von ihren Geldgebern als zusätzliche Lobbykanäle genutzt werden. Bei Bedarf entsteht so ein geschlossener Kreislauf – eine "Bewegung" setzt ein Thema, ein über eine Stiftung finanzierter Lehrstuhl oder ein Institut oder gar mehrere Institute stützen das Ganze, die entsprechend geneigten, eben ihren Eigentümern verpflichteten Medien greifen das auf, und schon wirkt jeder, der nicht mitmacht, wie ein komischer Außenseiter, wenn nicht gar eine hoffnungslos rückständige Gestalt.
Man kann natürlich, und sei es erst an dem Punkt, wo die Forderungen konkret werden, nachweisen, welchen Interessen das Drama dient. Die konkrete Gestalt, die das Thema "Klimaschutz" annimmt, liefert international Entwicklungshindernisse und Schutzzölle gegen arme Länder, eine Steigerung ihrer Erpressbarkeit durch Aushungern, Zwang zur Annahme Abhängigkeit erzeugender Kredite für erneuerbare Energien, und zuletzt externe Kontrolle; im Inneren sind diese Hindernisse ein ungeheurer Angriff auf den Lebensstandard der einfachen Bürger, die bekanntlich weder heizen noch Fleisch essen noch in den Urlaub fahren sollen (wobei alle Strukturen, die an diesem Punkt Widerstand leisten müssten, längst übernommen sind, wie die meisten Gewerkschaften). Hätte man dieses Paket am Anfang auf den Tisch gelegt, als das Thema erst gesetzt wurde, es hätte schnell Widerstand erzeugt. Jetzt steht davor die Mauer aus Hirsebrei, das "allumfassend Gute".
Welche Möglichkeiten gibt es, eine solche Entwicklung zu verhindern? Im Grunde nur eine: Jede Organisation, jeder Verein, jede Partei muss im Inneren demokratisch verfasst sein, und eine Finanzierung politischer Tätigkeit, und sei es auch für das "allumfassend Gute" durch Großspenden ist verboten. Aus dem Ausland betriebene Organisationen müssen das offenlegen (ja, auch Greenpeace gehört dazu, oder der WWF), und wenn sie versuchen, politischen Einfluss auszuüben, der disproportional zur Zahl der beteiligten (sprich in dieser Organisation stimmberechtigten) Menschen ist, werden sie verboten.
Das klingt radikal. Aber es ist unmöglich, die reale Demokratie, in all ihrer majestätischen Trägheit, ihrer mühsamen Egalität, zu bewahren, wenn Strukturen die Landschaft bestimmen, die durch Talmi entmündigen und durch die Hintertür den ganz materiellen Interessen kleiner Eliten dienen.
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"Wenn Unrecht Gesetz wird,wird Rebellion Pflicht."
Der Klartexter
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