30.05.2024, 19:49
Chemnitz, Potsdam, Sylt – eine echte "Virtuelle Realität" der Hysterie
30 Mai 2024
Es scheint längst völlig normal zu sein, dass aus unbedeutenden Ereignissen ein Skandal gebastelt wird, der dann die politische Entwicklung vorgibt, während tatsächliche Skandale untergehen. Das war nicht immer so, aber die letzten Jahre sind davon geprägt.
Mahnwache unter dem Motto "SylterInnen gegen Rechts" in Kampen auf Sylt, 26. Mai 2024 - Quelle: © Lea Sarah Albert/dpa
Von Dagmar Henn
Aufgeblasen, verzerrt, inszeniert oder gleich ganz erlogen – in den letzten Jahren wurde die politische Debatte in Deutschland immer wieder von Erzählungen bestimmt, die bestenfalls nicht ganz der Wahrheit entsprachen. Vielleicht ist es an der Zeit, da einmal zurückzublicken, damit man wahrnehmen kann, wie groß der Einfluss dieser Erzählungen ist.
Weil sie so weitreichende Folgen hatte, fangen wir mit der Maidan-Erzählung an. Die "friedlichen Demonstranten", die nur wegen eines Ultimatums der EU aufliefen, haben es ziemlich schnell geschafft, das Land in eine Imitation Deutschlands von 1933 zu verwandeln. Die Bilder aus der Zeit vor dem Putsch sorgten vor allem aus einem Grund für völlig einseitige Sympathien: weil die Polizeieinheiten, die die Regierungsgebäude schützten, dargestellt wurden, als handele es sich um den Typ Aufstandsbekämpfungspolizei, die man aus dem Westen kennt, ausgestattet nicht nur mit Schild und Knüppel, sondern auch mit Pfefferspray und Schusswaffen und dem Recht, diese Schusswaffe auch zu benutzen. Das war jedoch nicht der Fall – jede Form von Gewaltanwendung durfte nur auf Befehl erfolgen, und Pfefferspray wie Schusswaffen hatten sie gar nicht. Da kann man allerdings noch sagen, es handle sich "nur" um eine Lüge durch Unterlassung.
Die nächste große Erzählung findet man im Sommer 2015. Fünf Tage vor dem Eintreffen der russischen Luftstreitkräfte in Syrien übrigens, weshalb ursprünglich etwas ganz anderes beabsichtigt gewesen sein kann, als später einfach Deutschland mit geflüchteten Syrern zu fluten. Über das kleine Detail, dass jedoch zuvor die deutschen Hilfszahlungen für die Flüchtlingslager in der Türkei halbiert wurden, sprach man selbstverständlich nicht gern. Und auch darüber natürlich nicht, dass die rührenden Bilder aus dem Münchner Hauptbahnhof, die für das Bild der "Willkommenskultur" gebraucht wurden, um den Preis des Verzichts auf eine effizientere Versorgung im Ostbahnhof entstanden. Trotzdem, der große Manipulationsapparat steckte da noch in den Anfängen.
Die nächste Runde lief im Winter 2015/2016, diesmal als Abwehr: die Kölner Silvesternacht. Hunderte sexueller Belästigungen, Diebstähle, selbst Vergewaltigungen überwiegend durch junge Nordafrikaner. Inzwischen, über acht Jahre später, nach unzähligen Prozessen, ist es kaum noch abzustreiten, dass da eine Unmenge Übergriffe passierten. Aber in den Tagen, Wochen, Monaten danach war die mediale Front so dicht, dass jeder als Rassist beschuldigt wurde, der es wagte, überhaupt darüber nachzudenken, dass auf dem Vorplatz des Doms in dieser Nacht sehr seltsame Dinge geschehen sind, obwohl es Videos und Zeugenaussagen auch von Migranten gab, die mitnichten in den Chor einstimmten. Alle, die die Ereignisse für real hielten und von ihnen entsetzt waren, seien Rassisten und Ausländerfeinde, hieß es.
Dann folgten die "Chemnitzer Hetzjagden". Diesmal eine vollkommene Erfindung, in die Welt gesetzt von der Bundeskanzlerin Angela Merkel persönlich. Wochenlang wurde daraus eine Erschütterung über die rechtsradikalen Abgründe des deutschen Ostens gekocht. Dabei war jener Mord, der diese Chemnitzer Demonstrationen auslöste, nichts, was in ein sauberes Schema passt. Die Täter waren zwar Araber, aber das Opfer war Deutschkubaner. Wahrscheinlich war die Kölner Reaktion tatsächlich noch defensiv, aber dann hatte man entdeckt, wie nützlich derartige Erzählungen sind, um die eigene Klientel zu stabilisieren, indem man ihr immer wieder erklären kann, wie gut sie doch sei.
Nun, wie oben schon erwähnt, die Erzählungen zur Ukraine sind nicht wirklich wahrhaftiger und nehmen ebenfalls viel Raum ein, auch zwischen "Chemnitz" und "Potsdam", aber das sind Kollektivtaten, das wird auf NATO-Ebene gestrickt. Auch die ganze Corona-Nummer kam eher von außen. Hier geht es um jene Geschichten, deren Autoren höchstwahrscheinlich Deutsche sind.
Anfang dieses Jahres kam dann "Potsdam". Inzwischen wurde sogar bekannt, dass Verfassungsschutzpräsident Haldenwang sehr wohl nicht nur vorab von dieser Veranstaltung wusste, sondern sogar selbst mehrere Pressevertreter darüber informiert hatte – vor dem Treffen, versteht sich. Dass die Darstellung, die Correctiv lieferte, vieles verzerrte und nie die Rede von Deportation war, steht inzwischen auch fest. Im Grunde fehlt nur noch eine einzige Information, damit sich das Ganze als Staatsverschwörung zu Propagandazwecken enttarnen lässt: der Name jenes Mitarbeiters im Bundesamt für Verfassungsschutz, der die ganze Potsdamer Veranstaltung angeregt hatte.
An das Resultat dürfte man sich noch gut erinnern. Dutzende Regierungsaufmärsche "gegen rechts" und ein ganzes, den Rechtsstaat zerstörendes, neues Gesetzespaket. Das schmeckt ein wenig nach Reichstagsbrand und Ermächtigungsgesetz, aber es ist ja gegen "rechts", also ist alles gut.
Dazwischen gab es dann eine kleine Pauseneinlage mit Spionage-Nummern, und jetzt wird aus einem kurzen Video betrunkener Jugendlicher im Grunde die nächste Potsdam-Nummer hochgefahren, weil es ja schließlich so entsetzlich ist, was da gesungen wurde (wobei man Schwierigkeiten haben dürfte, noch Böses daran zu finden, wenn man den Ort des Gesangs nach Ramstein verlegt).
Der Unterschied zwischen den Ereignissen auf der Liste und dem früher üblichen Umgang mit sensationellen Erzählungen besteht nicht nur darin, dass die Ereignisse, die früher eine derartige Medienpräsenz erreichten, heute nur noch müde Schlagzeilen produzieren. Der Cum-Ex-Skandal zusammen mit der EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und ihrem Umgang mit Pfizer müssten mindestens dreimal so groß rauskommen wie das Märchen von Potsdam. Beides wird aber, wenn man die Medien betrachtet, nicht ansatzweise in der gleichen Liga gehandelt. Demonstrationen gegen Regierungskorruption gab es schon gar nicht. Dabei geht es hier um reale Taten mit ganz materiellen Folgen in Milliardenhöhe.
Nein, der entscheidende Unterschied besteht darin, dass die falsche Erzählung nie mehr verschwindet, nicht einmal, wenn sie nach Strich und Faden zerlegt ist. Wie oben erwähnt ist von der Potsdam-Nummer nicht mehr viel Substanz übrig. Dennoch führen immer wieder Politiker der transatlantischen Einheitspartei die angeblich geplanten "Deportationen" an. Selbst die "Chemnitzer Hetzjagd" wird noch immer als Referenz verwendet. Es ist nicht so, dass es niemanden mehr gäbe, der diese Geschichten widerlegt. Nur ist die Mauer zwischen den zwei Teilen der deutschen Medienlandschaft längst so hoch, dass es diese Informationen kaum in den Mainstream schaffen – und wenn doch, dann bei Weitem nicht in der Größe, die der ursprünglichen Geschichte zugemessen wurde.
Das größte Narrativ in meiner Jugend, das ungefähr den gesellschaftlichen (und juristischen) Auswirkungen der Linie Köln-Chemnitz-Potsdam-Sylt nahekommt, waren die Geschichten rund um die Rote Armee Fraktion, die RAF. Da gab es allerdings immer wieder, auch im Zusammenhang mit den Stammheim-Prozessen, Berichte über mögliche V-Leute, und Zweifel an den Selbstmorden 1977 in der JVA Stammheim hegte nicht nur eine winzige radikale Minderheit. Das Thema wurde unter sämtlichen denkbaren Blickwinkeln durchgekaut und versickerte dann letztlich eher wegen der Erschöpfung aller Beteiligten. Dabei ist es natürlich noch lange nicht abgeschlossen, denn alles, was unter der Überschrift "dritte Generation" stand, ist eigentlich nur noch seltsam. Und für eine endgültige Bewertung bräuchte man eben die Akten der westdeutschen Geheimdienste, die bekanntlich nicht freigegeben werden.
Manchmal sind große Anläufe auch schnell geplatzt. Nach dem Oktoberfest-Anschlag 1980 erklärte der damalige CSU-Kanzlerkandidat Franz Josef Strauß, das seien Linksradikale gewesen. Aber noch bevor sich diese Lesart, die ihm natürlich sehr nützlich gewesen wäre, den Ausmaßen der Hysterie während der Schleyer-Entführung auch nur annähern konnte, stellte sich heraus, dass sich einer der Bombenleger selbst mit in die Luft gesprengt hatte und dass der auch noch zur Wehrsportgruppe Hoffmann gehörte.
Das, was nach der völlig konstruierten Potsdam-Geschichte losgetreten wurde, lässt sich im Grunde nur mit dem Herbst 1977 vergleichen. Interessanterweise passt das auch in Bezug auf die Gesetze, die damit vorangetrieben wurden. Aber der "Deutsche Herbst" war nach drei Monaten wieder vorüber, dann begann die Phase der Proteste gegen diese Gesetzesverschärfungen, in der man wieder sagen konnte, dass ein SS-Untersturmführer Hanns Martin Schleyer, der einst unter dem SS-Obergruppenführer Reinhard Heydrich die tschechische Industrie "eingedeutscht" hatte und in der Tschechoslowakei als Kriegsverbrecher verurteilt war, nur begrenzt Sympathieträger ist.
Längerfristiger wurde das alles erst mit dem Dauerthema "DDR", deren nachträgliche Verteufelung zu zentral war, um ein Ermatten oder ein Widerlegen zuzulassen, nicht einmal aus der bereits historischen Distanz von mehr als 30 Jahren. Im Gegenteil: Parolen, die viele in den 70ern noch für überflüssige, verstaubte Relikte der Adenauer-Jahre hielten, wurden so lange zugebuttert, bis sich Heiligenschein und Pferdefuß endlich wie gewünscht verteilten. Seitdem ist nicht nur eine realistische Betrachtung der deutschen Nachkriegsgeschichte unmöglich, sondern auch die Toleranzgrenze für nachweisliche Fiktionen wurde gewaltig ausgeweitet.
Die heutigen Kampagnen laufen nicht aus, sie gehen einfach in die nächste über. Das Ergebnis ist ein permanenter Zustand der Hysterie, der vernunftfreien Aufgeregtheit, die wie ein Steppenbrand auf den nächsten brennbaren Haufen überspringt, der ihr angeboten wird. Damals half es noch abzuwarten, bis die Aufregung sich etwas gelegt hatte, um dann wieder vernünftig debattieren zu können.
Mittlerweile aber reden wir über ein System, das sich vollständig selbstreferenziell verstärkt, unabhängig nicht nur von der Wahrheit der aufgestellten Behauptungen, sondern sogar von der Frage, ob Teile der Erzählung oder sogar die ganze Story längst widerlegt sind. Es ist nicht nur ein plötzlicher, kurzfristiger Wahn – es ist eine völlig abgekoppelte Virtuelle Realität. Auf das Widerlegen einzelner Fakten reagiert dieses System wie eine Gummiwand. An einer Stelle wird kurz nachgegeben, und danach ist alles wieder wie zuvor. Nur die Wirklichkeit außerhalb dieser Virtuellen Realität wird unterdessen immer hässlicher.
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Hat ja hervorragend geklappt: Scholz wollte Ausbreitung von "Döp dödö döp" verhindern
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Nach dem Eklat rund um das bekannte Sylt-Video hatte sich auch Bundeskanzler Olaf Scholz am vergangenen Freitag geäußert und erklärt, man wolle die Ausbreitung der im Video skandierten Parole verhindern. Funktioniert hat dies allerdings eher weniger.
Bundeskanzler Olaf Scholz - Quelle: © Christoph Soeder/dpa
Ein kleiner Rückblick: Nach dem Eklat um das mittlerweile bekannte Video aus Sylt, in dem feiernde junge Menschen zu Gigi D'Agostinos Hit "L'amour toujours" die Parole "Ausländer raus" grölen, hatte sich auch Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) geäußert. Am vergangenen Freitag bezeichnete er derartige Parolen als "eklig" und "nicht akzeptabel":
"Und darüber darf es kein Vertun geben. Und deshalb ist es auch richtig, dass all unsere Aktivitäten darauf gerichtet sind, genau zu verhindern, dass das eine Sache ist, die sich verbreitet."
Zu konkreten Maßnahmen, wie er eben jene Ausbreitung verhindern wolle, äußerte sich Scholz zwar nicht. Geklappt haben diese jedenfalls eher weniger: In Magdeburg wurden zwei Männer angezeigt, weil diese zu "L'amour toujours" eine ausländerfeindliche Parole gesunden haben sollen. Die Polizei beschlagnahmte auch die Handys der Tatverdächtigen als "mögliche Tatmittel" (RT DE . Auch in Hamburg und Stuttgart sollen Fans des türkischen Fußballvereins Galatasaray Istanbul zum entsprechenden Lied "Ausländer raus!" skandiert haben, nachdem ihr Verein am Sonntag türkischer Fußballmeister geworden war.
Auch in den Mainstream-Medien prägten der "Sylt-Skandal" und weitere entsprechende Vorfälle die Schlagzeilen. Das Meme rund um "L'amour toujours", welches vermutlich in rechten Kreisen entstand, ist schon älter. Bereits im Herbst 2023 wurden erste derartige Vorfälle gemeldet.
Das funk-Netzwerk des öffentlich-rechtlichen Rundfunks hat in den sozialen Medien nun sämtliche Fälle der letzten acht Monate aufgelistet, in denen zum Lied "L'amour toujours" ausländerfeindliche Parolen skandiert wurden.
https://twitter.com/marcfriedrich7/statu...n%5Es1_c10
Bereits vor der entsprechenden Meldung von funk wurde die Berichterstattung rund um Sylt vom Satiriker Snicklink parodiert:
https://t.me/snicklink3000/674
Auf eine Anfrage der Berliner Zeitung, mit welchen Maßnahmen der Kanzler denn die Ausbreitung des Sylt-Memes zu hindern gedachte, teilte eine Regierungssprecherin schließlich mit, die Bundesregierung könne ihren Appell "nur an alle richten, sich nicht von Rassisten missbrauchen zu lassen". Die Strafverfolgungsbehörden der Länder prüften nun, "ob und welche Straftaten mit rechtsextremistischem Hintergrund im Zusammenhang mit dem genannten Video begangen wurden".
In Bezug auf die Vorfälle rund um den Sieg von Galatasaray Istanbul erklärte die Regierungssprecherin, es sei "vollkommen gleichgültig, ob rassistische Parolen auf Sylt, in Wolfsburg oder Stuttgart gesungen werden". Sie teilt mit: "Überall greifen sie andere Menschen an. Und das ist auf das Schärfste zu verurteilen." Es sei "erschreckend, dass es einen Code zu geben scheint, der an vielen Orten sofort verstanden wird und der trotz seines massiven Rassismus bei manchen Menschen kein Störgefühl auslöst".
Genutzt haben die Appelle aus dem Kanzleramt jedenfalls wenig: In den sozialen Medien häufen sich derzeit Aufnahmen von Menschen (insbesondere Menschen mit Migrationshintergrund), die sich über den medialen Hype um Sylt lustig machen und zu Gigi D'Agostinos Hit "Ausländer raus" singen.
Quelle:
Nach Sylt-Eklat: Bundesweite Jagd auf Hörer des „verbotenen Lieds“
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Der Nobelclub Pony auf Sylt – von hier ging ein Video junger Erwachsener viral
Die Polizei ermittelt bundesweit wegen vermeintlicher extremistischer Verstöße im Zusammenhang mit „L’amour toujours“ von Gigi D’Agostino. Eine gigantische Anzeigenwelle rollt durch Deutschland.
von
Am Donnerstag verbreitete sich ein Video aus Sylt wie ein Lauffeuer. Darin sind mehrere junge Erwachsene zu sehen, die zum Rave-Signal von Gigi D’Agostinos Partyhit „L’amour toujours“ die alte Neonazi-Parole grölen: „Deutschland den Deutschen, Ausländer raus!“ Jetzt ermittelt der Staatsschutz in Flensburg, eine mögliche Strafbarkeit wird geprüft. Am Freitag ereignete sich in Magdeburg ein ähnlicher Vorfall.
In der Pressemitteilung der dortigen Polizeiinspektion ist zu lesen: Am Freitagabend gegen 20:15 Uhr sei der Polizei von einem Zeugen mitgeteilt worden, „dass aus einem Fahrzeug am Magdeburger Dom lautstark ein bekannter Disco-Hit abgespielt wurde, bei dem ein volksverhetzender Inhalt mitgesungen wurde“. Der Vorwurf des Zeugen, der die Polizei gerufen hatte, wird von der Polizei-Pressestelle im ersten Absatz direkt wiedergegeben. Den Konjunktiv sucht man vergeblich.
Handys als „mögliche Tatmittel“ beschlagnahmt
Dann präzisiert die Pressestelle: Der Mann habe zu der Zeit am Magdeburger Dom gestanden, „als ein PKW mit lauter Musik an ihm vorbeifuhr“. Bei dem mutmaßlich „volksverhetzenden Inhalt“ habe es sich um die Parole „Deutschland den Deutschen, Ausländer raus!“ gehandelt. Daraufhin habe der Zeuge die Magdeburger Polizei informiert, „welche kurz darauf den beschriebenen PKW mit zwei Insassen im Breiten Weg feststellen und kontrollieren konnte“.
Die Polizei habe dann „den PKW sowie die beiden männlichen Insassen wurden daraufhin nach möglichen Tonträgern durchsucht“, woraufhin deren Handys als „mögliche Tatmittel“ beschlagnahmt worden seien. Dann heißt es: „Gegen die beiden Fahrzeuginsassen, zwei Magdeburger im Alter von 22 und 27 Jahren, wurde zudem ein Ermittlungsverfahren zum Verdacht der Volksverhetzung eingeleitet.“ Ob sie sich mit der Verwendung dieses Slogans wirklich strafbar gemacht haben, muss noch geklärt werden.
Volksverhetzung? Keine Strafbarkeit des Slogans
Das Gleiche gilt für die Ermittlungen hinsichtlich des Vorfalls auf Sylt, der den Hype um Gigi D’Agostinos Song erst ins Rollen gebracht hatte. So teilt das Presseportal der Polizeidirektion Flensburg mit: „Die Ermittlungen des Fachkommissariats für Staatsschutz wegen Volksverhetzung und des Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen dauern an“. Es liege auch der Verdacht vor, „dass durch eine Person der sogenannte Hitlergruß gezeigt wird.“ Der Hintergrund: Einer der Feiernden auf Sylt hatte zum Lied mit dem erhobenen rechten Arm gewunken und mit dem linken eine Art Hitlerbärtchen imitiert.
Ob die Verwendung der Parole „Deutschland den Deutschen, Ausländer raus!“ allein den Tatbestand der Volksverhetzung erfüllt, ist indes fraglich. Der Kölner Rechtsanwalt Carsten Brennecke, tätig bei der Rechtsanwaltskanzlei Höcker, verwies auf dem Kurznachrichtendienst X auf ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts. Demnach kann der Slogan „Ausländer raus“ grundsätzlich „eine zulässige Meinungsäußerung und keine strafbare Volksverhetzung (§130 StGB)“ sein. Das Recht auf Meinungsfreiheit ginge vor, sodass die zuständigen Richter im Einzelfall „besonders sorgfältig begründen und die Hintergründe erfassen“ müssten.
Brenneckes Fazit: „Nicht alles, was geschmacklos ist, ist strafbar.“ Beim Verdacht, dass der junge Mann den sogenannten „Deutschen Gruß“ gezeigt habe, könnte das Strafmaß aber höher liegen. Hier müsste zuallererst geklärt werden, ob der Straftatbestand des Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen tatsächlich erfüllt ist.
Galatasaray-Fans riefen: „Ausländer raus!“
Vorfälle wie in Magdeburg haben sich inzwischen überall im Land ereignet, seit die Medien lang und breit über das Video aus Sylt berichtet hatten. Die ausländerfeindliche Parole ist endgültig zum Meme mutiert. Besonders hervorzuheben ist der Fall von Fans des türkischen Vereins Galatasaray Istanbul in Hamburg und Stuttgart, die laut Medienberichten „Ausländer raus!“ gerufen hatten. Der Anlass: Ihr Club war am Sonntag mit einem Sieg im letzten Saisonspiel türkischer Fußballmeister geworden.
Vielleicht war das eine gezielte Provokation der Fußballfans – möglicherweise, um das Meme zu ironisieren. Oder ein Fall kultureller Aneignung? Aber auch eine wachsende Feindseligkeit zwischen Menschen mit längerem Migrationshintergrund und Menschen, die erst seit Kurzem hier leben, könnte die Ursache sein. Der Chef des Galatasaray-Fanclubs Stuttgart nennt gegenüber der Deutschen Presse-Agentur den Vorfall in seiner Stadt „beschämend“. Dass feiernde Menschen seither diese Parole gegrölt haben, wird inzwischen auch aus Niedersachsen, Rheinland-Pfalz und Bayern Bundesländern berichtet. Tatorte waren demnach meist Diskotheken oder Schützenvereine.
Das Meme ist mehrere Monate alt
Dabei ist das Meme schon mehrere Monate alt. Zuerst wurde über die Kombination von Gigi D’Agostinos Song mit der ausländerfeindlichen Parole im November vergangenen Jahres berichtet, Anlass waren Vorfälle in Mecklenburg-Vorpommern. Dann mehrten sich entsprechende Fälle. Im Januar wurde im „Bericht aus Berlin“ erwähnt, dass Mitglieder der AfD-Jugendorganisation Junge Alternative die Parole am Rande des Parteitags in Bayern gesungen haben sollen. Eine Woche später gab es laut NDR einen ähnlichen Vorfall in Schleswig-Holstein. Bis zum Vorfall in Sylt soll es insgesamt dreiundzwanzigmal zu solchen Fällen gekommen sein.
Etliche Nutzer sozialer Medien machen sich allerdings mit neuen Memes über den Hype rund um das Sylt-Video lustig. So ist bereits am Freitagabend eine Parodie des Kinofilms „Der Untergang“ verbreitet worden, in der Bruno Ganz Adolf Hitler spielte. Anstatt des ausgebliebenen Angriffs des Generals Felix Steiner ist der Vorfall auf Sylt das Thema. Der Nazi-Diktator nennt darin Gigi D’Agostinos Hit „das verbotene Lied“. Er regt sich insbesondere darüber auf, dass nach Angaben des Generals Hans Krebs der junge Mann seinen „Bart nachgemacht“ und den „Hitlergruß gezeigt“ habe. „Warum grüßt mich dieser Lump – ich kenne ihn doch gar nicht!“, wird Hitler parodiert.
Die Polizei muss indes von Amts wegen alle angezeigten Fälle ernst nehmen, in denen der Verdacht der Volksverhetzung im Raum steht. Und Gigi D’Agostinos Hit sorgt nicht nur für viele Polizeieinsätze, auch auf die Staatsanwaltschaften im gesamten Land dürfte eine Welle an Anzeigen zurollen, die sie werden prüfen müssen.
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