23.02.2023, 23:16
Ist RT das neue Westfernsehen ?
Wie sich die Zeiten gleichen: RIAS Berlin, eines der Westmedien, die in der DDR trotz Verbots empfangen wurden. Heute steht der "Feindsender" RT in Deutschland auf dem Index.
Von W. SCHMITT | Die russischen Medien berichten nicht objektiv – die deutschen Medien aber auch nicht. Da die Wahrheit oft in der Mitte liegt: Brauchen wir also eine gute Mischung aus russischen und deutschen Medien, um ein halbwegs ausgewogenes Bild der tatsächlichen Lage in der Ukraine zu gewinnen?
Der Autor dieses Textes liest jetzt seit fast einem Jahr täglich RT – leider, möchte man hinzufügen. Denn eigentlich sollte es in einer modernen, freiheitlichen Demokratie grundsätzlich nicht notwendig sein, Auslandsmedien nutzen zu müssen, um sich halbwegs informiert zu fühlen. In einer echten Demokratie mit einer tatsächlich freien Presse sollte man erwarten, dass die eigene Presse das Weltgeschehen so anschaulich, sachlich und gut recherchiert schildert, dass ein Rückgriff auf ausländische Quellen überflüssig ist.
Die politische Einseitigkeit der deutschen Presse haben wir alle in den letzten Jahren mehrfach erfahren: 2015 in der sogenannten „Flüchtlingskrise“, als angeblich nur Frauen, Kinder und Ärzte über unsere Landesgrenze wanderten, dann in der Corona-Zeit, als die deutsche Lockdownerei angeblich alternativlos war und in Schweden nur Dummköpfe an der Macht waren, und auch heute wieder in der Ukraine, wo Selenski immer nur gut und Putin immer nur böse ist. So einfach ist die Welt, wenn man die deutsche Presse liest.
Aber so einfach ist die Welt in Wahrheit natürlich nicht. Die Welt ist vielschichtig, und Politik ist das Aufeinandertreffen von Meinung und Gegenmeinung. Der einzige Grund, weshalb die Demokratie allen anderen Staatsformen in der Theorie überlegen ist, ist genau dieses freie Ringen von Meinung und Gegenmeinung, das im theoretischen Idealfall zum Sieg der besseren Meinung führen sollte.
In einem Land wie Deutschland, wo die Presse keine Gegenmeinungen berichtet und die oppositionelle AfD de facto Auftrittsverbot im Staatsfernsehen hat, findet dieses freie Kräftespiel der Meinungsbildung nicht statt. Dies gilt ähnlich auch für Russland: Auch dort darf die Opposition im Staatsfernsehen nur bedingt auftreten, die Presse berichtet fast ausschließlich aus Sicht der Regierung. Aber interessanterweise sind die Sichtweisen der deutschen Regierung sowie ihrer Presse und die Sichtweisen der russischen Regierung und deren Presse weitgehend gegenteilig: Der politisch interessierte Zeitgenosse ist daher versucht, sich durch Lesen dieser beiden gegenteiligen Sichtweisen an die berühmte Wahrheit in der Mitte heranzupirschen.
Nach einem Jahr täglicher Lektüre von RT möchte der Autor dieses Textes schlussfolgern, dass dieser Ansatz, sich eben aus beiden Quellen zu informieren, wenn beide Quellen gegenteilig einseitig berichten, durchaus hilfreich ist. Der aktuelle Seymour Hersh-Bericht zur Sprengung der Nordstream-Pipeline wird beispielsweise derzeit weltweit heiß diskutiert, nur im betroffenen Deutschland nicht, da bei uns zu diesem Thema faktisch eine Nachrichtensperre besteht. Um ein realitätsnahes Gesamtbild der Diskussion jenseits unserer Landesgrenzen zu erhalten, ist also ein gelegentlicher Blick auf die recht lebendige und laufend aktualisierte russische Berichterstattung zu diesen Pipeline-Sprengungen geradezu notwendig.
Zudem erfährt man als RT-Leser, dass auch auf ukrainischer Seite massenhaft Soldaten sterben und keineswegs 100 Prozent aller Ukrainer Selenski und dessen Politik unterstützen, sondern dass es tatsächlich eine Opposition in der Ukraine gibt – für Leser der deutschen Presse vermutlich ganz erstaunliche Erkenntnisse. Auf diese Weise also, durch Hinzuziehen der Presse der Gegenseite, lässt sich auch als deutscher Leser ein Überblick über den insgesamten Sachstand aktueller Thematiken gewinnen, und man bildet sich seine eigene Meinung – in dieser oder jener Richtung.
Natürlich ist RT nicht objektiv, und berichtet politisch ebenfalls interessengesteuert. Dieselbe Einschätzung galt aber auch für das Westfernsehen zu Zeiten der DDR oder die Meldungen der BBC zu Zeiten des Dritten Reiches. ARD und ZDF waren selbst in den besten Jahren der Bundesrepublik nie wirklich neutral, und 1944 hörte man im Rundfunk der BBC keine Schilderungen des Grauens der englischen Bombardierung von Königsberg. Ausdrücklich gewarnt sei daher vor einer Idealisierung von RT als angeblich „besserer“ oder gar „ausgewogenerer“ Nachrichtenquelle. Aber genau wie das Westfernsehen vor 1989 oder die BBC vor 1945 hilft die Sichtweise der Gegenseite auch heute wieder, wichtige informative Lücken zu schließen, die zur Ableitung eines eigenen ausgewogenen Meinungsbilds unbedingt erforderlich sind.
Wünschenswert, aber vermutlich wohl Wunschtraum bleibend, wäre es natürlich, wenn die Presse in Deutschland sich eines fernen Tages wieder auf die Grundlagen demokratischer Diskussionskultur – und damit die Überlegenheit der Demokratie gegenüber allen anderen Systemen – besinnen würde: Das freie Wechselspiel von Meinung und Gegenmeinung. An jenem fernen Tag, wenn unsere eigene Presse sich wieder auf diese demokratische Tugend freiheitlicher, vielfältiger und sachlich fundiert recherchierter Berichterstattung zurückbesinnen wird, wird man auch als Leser der deutschen Presse dann nicht mehr auf ausländische Medien zurückgreifen müssen, um sich insgesamt ausgewogen informiert zu fühlen.
Quelle: https://www.pi-news.net/2023/02/ist-rt-d...fernsehen/
"Wenn Unrecht Gesetz wird,wird Rebellion Pflicht."
Der Klartexter
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