04.11.2023, 06:49
Herr Pistorius, "kriegstüchtig" gegen wen? – Das Ratespiel hat begonnen
4 Nov. 2023
Beim Krieg braucht es "das Fremde" – den Feind, gegen den man die eigenen Staatssubjekte in den Krieg ziehen lassen kann. Wen meinte Verteidigungsminister Pistorius dann eigentlich, als er zu mehr deutscher "Kriegstüchtigkeit" aufrief und vor "Krieg in Europa" warnte?
Symbolbild. - Quelle: G
Ein Gedankenspiel von Elem Chintsky
Der deutsche Bundesminister der Verteidigung Boris Pistorius kündigte de facto eine aufsehenerregende Zeitenwende für Deutschland an.
Der knapp über vierminütige von den ZDF heute-Nachrichten, der an das Interview mit Boris Pistorius heranführt, ist natürlich ziemlich einseitig dirigiert. Sowohl die Politologin und ehemalige NATO-Mitarbeiterin Stefanie Babst und der ehemalige US-Oberbefehlshaber in Europa Ben Hodges als auch der deutsche Militärhistoriker Sönke Neitzel plädieren gleichgeschaltet und allesamt für ein militärisch viel mehr engagiertes Deutschland, welches kriegerisch eingreifen und reagieren kann – für den "politischen Willen zu mehr Wehrhaftigkeit" der BRD. Für Pistorius sind das "Ratschläge aus allen Richtungen" und man versuche ja schon, bereits eiligst das Beste dahingehend zu tun.
Die im Framing befriedigend geschulte ZDF-Moderatorin legt den Begriff des deutschen "Mentalitätswandels" direkt Pistorius zu Füßen – dieser greift ihn im ersten Antwortsatz auf und knetet ihn augenblicklich zu der Variante "Mentalitätswechsel" um. Dieser sei für die heutige BRD nun unverzichtbar, nicht nur in der Bundeswehr selbst, wo er angeblich schon im vollen Gange sei, sondern "in der gesamten Gesellschaft und Politik". Fertig ist der erste O-Ton des deutschen Verteidigungsministers.
Es wird stets von der global fehlenden "Wehr- und Verteidigungsfähigkeit" durch deutsche Hand gesprochen, und das ZDF nennt die derzeit prominentesten Krisenherde der Welt zur Veranschaulichung: den Nahostkrieg, den Ukrainekrieg, den drohenden Krieg der USA gegen China – wegen Taiwan. Im Kontext dieser insgesamt hoch angespannten, internationalen Lage wird Deutschland mit seinen aus sicherer Distanz veranstalteten Waffen- und Kreditlieferungen als "zu passiv" dargestellt. Pistorius spricht auch offen davon, dass die Bundeswehr in den 30 Jahren seit Ende des Kalten Krieges eine sichtliche Rückentwicklung erfuhr, die man erst jetzt begonnen habe zu beheben.
Auf die Frage, "welche Art der uneingeschränkten Unterstützung" Deutschland für Israel leisten werde, sofern diese angefordert wird, erwiderte Pistorius: mit "aller Art aus dem Sanitäts- und Materialbereich". Wie sich diese Zugeständnisse des hohen SPD-Beamten synchronisieren lassen könnten mit den Aussagen eines Herrn Kiesewetters aus der CDU, vertiefen wir gleich noch einmal.
Klar ist, dass anhand der Aussagen des vom ZDF als zurückhaltend und gemäßigt angekündigten Pistorius – und seiner allgemeinen Forderung, dass die Mentalität in der BRD sich nun hin zu mehr "Kriegstüchtigkeit" ändern müsse – eine offensichtliche Frage unbeantwortet bleibt:
Gegen wen konkret sollen sich denn die BRD und deren Bevölkerung nun also zum Krieg wappnen? Wo ist dieser "potenzielle Feind" konkret zu verorten? Sicherlich nicht in Übersee oder auf einem weit entfernten Kontinent fernab direkter Kontaktlinien, wenn es doch Pistorius selbst war, der von einem "Krieg in Europa" im Futur sprach. Den bereits laufenden Ukrainekrieg in Osteuropa konnte er nicht meinen, da dieser seit spätestens Februar 2022 läuft. Somit führte der deutsche Verteidigungsminister eine neue geografische Kategorie ein, die sich dem Zentrum vom "europäischen Garten" des EU-Chef-Diplomaten Josep Borrell wohl gefährlich nähert.
Hintertür Nummer eins: Russland?
Einen direkten "Krieg mit Russland" kann er ja auch nicht meinen – zumindest nicht als "Erstkontakt". Weder hat Russland irgendeine geostrategische Ratio aus einem Präventivschlag gegen Deutschland – womit das Verteidigungsprinzip von Artikel 5 des Nordatlantik-Paktes erlischt – noch hat Deutschland auch nur im Ansatz die militärische Fähigkeit oder den massentauglichen, ideologischen Vorwand, selbst einen Angriff gegen Russland zu starten, geschweige denn, den atomaren Schlag zu verkraften, der seitens der Russen dafür kommen würde.
Mit der ohnehin schon schwindenden Ukraine-Wahrnehmung und zurückgefahrenen Hilfe für Kiew, welcher sich sogar mittlerweile der EU-Hardliner Polen noch unter PiS unterzog, verfliegt ein solches Szenario umso mehr.
Die alarmistische und von US-amerikanischen Spin-Doktoren gerne gesehene und von ihnen selbst beigemischte psychologische Kriegslosung in Europas medialer NATO-Echokammer, dass Russland jederzeit "bis nach Lissabon vorstoßen könnte" und dort vor aller Augen den Lissabonner Vertrag zerknüllt, verliert innerhalb der europäischen Bevölkerungen ihren Zauber. Die Nachbeben dieser kollektiven, kognitiven Schläge (in den Jahren 2014–2023 vielmals und konsequent verabreicht) lassen also mittlerweile etwas nach. Sogar im Zenit der antirussischen Propaganda in Deutschland war eine generelle Bereitschaft innerhalb der Bevölkerung, mit Russland in einen direkten Krieg einzutreten, nicht existent. Der Kriegswahn der Ampel beschränkte sich immer auf eine virtuelle, weitaus abstraktere Kriegslust – eine, welche sich lediglich auf die Bereitschaft beschränkte, deutsches Steuergeld für militärische und finanzielle Leihgaben an Kiew zu vergeuden und einzig ukrainisches Leben zu opfern.
Hintertür Nummer zwei: Erdoğan, der sagt, es könnte der Islam sein
Womöglich liefert der türkische Staatspräsident das nötige Puzzlestück, welches Pistorius beim ZDF verbummelt hat. Denn Recep Tayyip Erdoğans aktuelle Frage zum Thema lautet: "Hey Westen, ich frage dich, willst du den Krieg zwischen der Mondsichel und dem Kreuz wieder entfachen?" Wobei ich hier sogar behaupten würde, dass die meisten im Westen kaum mehr dechiffrieren können, was da Erdoğan überhaupt meinen könnte — so sehr hat Europa ihre christlichen sowie aufklärerischen Wurzeln unterdrückt, verneint oder vergessen, dass sie nicht verstehen, von welchem solchen Krieg der "irrationale Populist und orientalische Demagoge" Erdoğan da nur sprechen könnte. Die typisch westliche, mit politischer Korrektheit kontaminierte moralische Überheblichkeit verblendet alle europäischen Eliten und deren treuen Gefolgsleute davor, solche mit Kalkül geäußerten, realpolitischen Gedanken des türkischen Staatsoberhaupts zu begreifen. Die einfache und direkte Semantik Erdoğans muss ironischerweise aus ihrer Einfachheit erneut "entwirrt werden" – was in einer perfekten Welt, in der Didaktik und Logik regieren, eigentlich vollkommen unnötig wäre, aber so weit sind "wir" im Kommunikations-Paradoxon Europas schon fortgeschritten.
Hier nun die Fußnote zu Erdoğans glasklarer Warnung, die sich auch auf die westliche Scheinheiligkeit und Doppelmoral gegenüber der langjährigen, dramatischen Causa der Palästinenser bezieht: Er meint einen Krieg zwischen dem säkular-neoliberalen Westen, der nach dem Zweiten Weltkrieg weitestgehend zionistisch umerzogen und gleichgeschaltet wurde, und der Mondsichel der internationalen muslimischen Gesellschaft in allen islamischen Nationen, aber auch der signifikanten muslimischen Minderheiten innerhalb der europäischen Nationen – vor allem in Deutschland, Frankreich und den Benelux-Staaten sowie Skandinavien.
Wie sich herausstellt, assoziieren die meisten Muslime, die in den Westen kommen, den hedonistischen Materialismus, die Lügen- und Sittenlosigkeitspropaganda im US-amerikanischen "Silver Screen" mit dem Christentum und dem "direkten Vermächtnis christlicher Zivilisation". Somit schlussfolgern sie, dass das eine das andere in einer direkten Kausalkette bedingt. Das ist natürlich ein kapitaler Kategorie-Fehler seitens der Muslime, aber im Westen korrigiert den niemand, weil die Kommunikation und das Gewahrsein für dieses Missverständnis dank dem universalistischen und oberflächigen Pluralismus der Post-Postmoderne des Westens so erbärmlich unterentwickelt ist. Interessante Lektüren und Exposés dazu verfasste der 2017 verstorbene Nabeel Qureshi – ein junger US-amerikanischer Arzt und frommer Moslem, der über fast vier Jahre des geistlichen Grübelns schließlich zum protestantischen Christentum konvertierte. Seine analytischen Ausführungen, wie eigentlich gläubige US-Muslime ganz genau die westliche Kultur, in der sie leben, wahrnehmen und wie sie diese fälschlicherweise mit dem Christentum assoziieren – wie einst auch Qureshi selbst und seine muslimische US-Gemeinde – illustrieren diese Missverständnisse besonders treffend.
Erdoğan redet zwar von "Krieg" zwischen den genannten Fraktionen, aber ein "Kulturkrieg" oder auch ein "Bürgerkrieg" innerhalb der "Festung Europa" – anstelle eines konventionellen Krieges an den Außengrenzen des "EU-Gartens" – ist bei seiner Warnung nicht auszuschließen. Wobei auch niemand garantieren könnte, dass nicht auch beides gleichzeitig vonstattengehen könnte.
Hintertür Nummer drei: Die unterschätzte, muslimische Minderheit in der BRD
Bauend auf dem Hinweis, der sich in Erdogans Zitat "verbarg", sollte man nun auf die 100.000 bis 300.000 propalästinensischen Demonstranten (die meisten sind Muslime) schauen, die jüngst in London, aber auch in Istanbul und anderen Metropolen, auf die Straße gingen. Es zeigt sich ein anderes Konfliktpotenzial — eines, das in Berlin und anderen deutschen Städten noch mit Polizeiverboten und Einsätzen unterdrückt wird. Die vielen Menschen muslimischen Glaubens im Herzen Europas sind zu Recht bereits außerordentlich affektiert über den Genozid, der in Gaza von den Israelis begonnen wird. Anders als bei der israelischen und proisraelischen Interpretation der jüngsten Geschehnisse, beginnt bei der muslimischen Weltgemeinde die Zeitrechnung nicht am 7. Oktober 2023, sondern reicht mindestens bis ins Jahr 2005 oder sogar bis zu den Jahren 1917/1918 und 1947/1948 zurück. Zugegeben, über lange Zeitabschnitte hinweg kann man auch in der Vergangenheit eine fehlende Anteilnahme, eine Teilnahmslosigkeit, eine Passivität und einen Unwillen bei sunnitischen und schiitischen Ländern des Nahen und Mittleren Ostens erkennen, die "palästinensische Frage" gerecht lösen zu helfen. Durch die jüngste Entwicklung des Nahostkonfliktes jedoch wurde diese diplomatische Lethargie aber eindeutig ausgemerzt.
Jede weitere Stufe der Eskalation im Gazastreifen, jeder weitere Massenmord an palästinensischen Zivilisten durch die israelische Regierung wird die öffentliche Meinung unter den Muslimen im Westen stark in Richtung Tatendrang lenken – in den muslimischen Nationen umso mehr. Es bahnt sich sogar eine Befriedung der fast 1.400 Jahre alten Fehde zwischen Sunniten (u. a. Türkei, Saudi Arabien) und Schiiten (u. a. Iran) an, die sich unter dem Banner der gemeinsamen Aufgabe der "Verurteilung und Bekämpfung zionistischer Aggression im Nahen Osten" zeitweise formen könnte.
Wenn der scheindemokratische Prozess in ihrer zweiten Heimat, in Europa, scheitern sollte und die Muslime sehen, dass die EU-Staaten nicht an einer unvoreingenommenen Lösung des Nahost-Konfliktes interessiert sind (wie etwa an einer "Zwei-Staaten-Lösung"), gilt eine präzedenzlose, gesellschaftliche Unruhe als natürliche Folge. Kongruent zu der kriegerischen Eskalation im israelisch-palästinensischen Krieg im Nahen Osten würde eine zivilgesellschaftliche Eskalation bürgerkriegsähnlicher Proportionen auf dem alten Kontinent entfacht werden.
Vielleicht hatte also Pistorius mit seinen Prognosen allgemein recht, aber es müsste dann auch der Begriff "Bürgerkrieg" – statt nur konventioneller "Krieg" – hinzugefügt werden. Also ginge es um einen "inneren Notstand", der "zur Abwehr einer drohenden Gefahr für den Bestand oder die freiheitliche demokratische Grundordnung des Bundes", wie es die Bundeswehr anhand des Grundgesetzes . Bisher konnte man die deutsche Bevölkerung auch über das oben Beschriebene hinwegtäuschen. Zum Beispiel mit Theaterinszenierungen einer anderen, unmittelbaren, staatsgefährdenden, "rechtsextremen" Terrorgefahr innerhalb Deutschlands, wie das exklusiv Der Spiegel mit dem angeführten Medienstück von Anfang Dezember 2022 .
Wissen all die Muslime Deutschlands um "seine höchste Staatsräson"?
Die tragische, aber extrem unterbelichtete, weil kaum berichtete Tragödie des Nahost-Konfliktes – besonders seit der Militär-Okkupation des Gazastreifens durch Israel seit 2005 – ist zum Beispiel in Deutschland fast gänzlich unbekannt. Hierzulande begann alles ganz plötzlich am 7. Oktober 2023 – mit dem Massenmord an israelischen Zivilisten durch die Hamas. Man berichtet mittlerweile zuhauf über den laufenden Konflikt selbst. Es ist das wichtigste Nachrichtenthema, welches zwar jetzt alles andere als verschwiegen wird, aber eben aus einer streng prozionistischen Perspektive projiziert wird – wie üblich getarnt als "objektive, unabhängige und unvoreingenommene" deutsche Berichterstattung.
Der israelisch-palästinensische beziehungsweise israelisch-arabische Konflikt ist nicht Teil des staatlichen Pflicht-Curriculums der deutschen Ober- und Hochschulen in den politologischen und historischen Fächern und Fakultäten. Der Autor dieser Zeilen erfuhr über die Geschichte der Balfour-Erklärung aus dem Jahr 1917 erstmals aus dem "unberechenbaren" Internet, lange nach seiner deutschen Reifeprüfung. Bücher von Berichterstattern – wie etwa von dem gründlichen Historiker Sir David Robert Gilmour ( ", 1980) oder dem kompromisslosen britischen Kriegskorrespondenten Joseph Mary Nagle Jeffries ( , 1939 [2016]) – sind bis heute nicht ins Deutsche übersetzt worden. Die ins Deutsche übersetzten Bücher des Historikers Norman Finkelstein werden an den Peripherien des deutschen Diskurses unfairerweise als "antisemitische" Schriften eines "selbsthassenden" US-Juden stigmatisiert.
Die Muslime in Deutschland – besonders die, welche als Flüchtlinge, Geflüchtete und Wirtschaftsmigranten in erster Generation seit den frühen 2000ern, 2008 und 2015 in die BRD gekommen sind – wissen nicht oder unterschätzen zumindest fahrlässig den Fakt, dass ihre Zweitheimat Deutschland dem jüdischen Staat vorbehaltlos und blind verpflichtet ist – geopolitisch, moralisch, ideologisch. Und ferner ahnen sie kaum, dass in der Frage des Nahost-Konfliktes im deutschen Staat die "zionistische Auslegung" schier absolute Deutungshoheit besitzt und die wichtigste "deutsche Staatsräson" darstellt. Letzteres haben deutsche Politiker in den vergangenen Wochen im Bundestag und anderswo für alle hörbar vermehrt und lautstark postuliert und über die öffentlich-rechtlichen Staatsmedien an die diskursive Oberfläche gespült – wofür auch reger, parteiübergreifender Applaus durch den ehemaligen "Reichstag" hallte. Diese prinzipielle Verfestigung der "deutschen Staatsräson" kam ebenfalls von allerhöchster Staatsspitze selbst – dem deutschen Bundeskanzler Olaf Scholz. Wenn das das einzige relevante Politikum in Deutschland wäre, hätten wir wohl die allergrößte "Große Koalition" in Deutschland seit es Deutsche gibt: eine dynamische und geeinte Koalition aus Bündnis 90/Die Grünen, der AfD, der FDP, der SPD, Die Linke und der CDU und CSU. Unter den deutschen Alt-Linken würden sich womöglich noch welche finden, die eine – allerdings geerdete – Kritik gegenüber dem historischen und heutigen Zionismus sowie Israels Apartheid-Politik gegenüber den Palästinensern üben. Das reicht aber nicht, um eine neue Volkspartei in der BRD zu gründen.
Die Ankündigung aus der SPD-Spitze zu retardierter "Einwanderung" und der strengeren Ahndung von damit verbundener Kriminalität sowie mittlerweile sogar das Benutzen des politisch aufgeladenen Wortes "Abschiebung" durch eine System- und Regierungspartei sind lediglich Lippenbekenntnisse. Sie dienen eigentlich als Ankündigung einer neuen Ära. Was die SPD unter Scholz beginnt, vorsichtig und bedacht vorzuschlagen – unter Protest des Koalitionspartners Die Grünen und der Opposition Die Linke – wird sowieso nicht mehr von der SPD in die Praxis übertragen. An der Reaktion der AfD sieht man bereits, wohin die Reise gehen könnte. Die rechtskonservative Opposition greift diese Lippenbekenntnisse der SPD – zu Recht – als solche an und versichert, dass sie die Einzigen wären, welche solche politischen Versprechen tatsächlich auch in die Tat umsetzen würden. Die AfD hat auch ein ziemlich greifendes Argument, in dem sie erklärt, dass der derzeit in Deutschland sichtbar gewordene "muslimische Antisemitismus", der die deutsch-jüdische Bevölkerung gefährdet, auf die Migrationspolitik und "Willkommenskultur" der "Ampel" und der Merkel-Epoche seit 2005 zurückzuführen ist. Auf diesem Rennpferd wird die AfD relativ lange noch glaubhaft reiten können – diese Kuh wird ausgesprochen lange gemolken werden können.
Zwischen "unbeschränkter Hilfe im Sanitäts- und Materialbereich" und "deutsches Leben geben für Israel"
Pistorius' Worte haben wir im ZDF klar gehört. In Kombination mit Äußerungen aus der "gemäßigten" Opposition wird erst ein Paar Schuhe daraus. Denn man kann nicht erwarten, dass die ganze Wahrheit von nur einem Regierungspolitiker kommen kann. Mit des CDU-Außenpolitikers Roderich Kiesewetter Mitte Oktober beim ZDF hat er unmissverständlich die reale Möglichkeit in den Raum gestellt, dass deutsche Bundeswehr-Soldaten perspektivisch in den Nahen Osten geschickt werden sollten, um den jüdischen Staat vor den Palästinensern und anderen Arabern und notfalls auch vor Iran mit "unserem Leben zu verteidigen". Dies könnte realistisch werden, wenn eine neue Stufe der Eskalation erreicht wäre – zum Beispiel, wenn die Kämpfe sich nach außerhalb Gazas und damit ins Innere Israels ausweiten würden. Ganz besonders, wenn auf der Seite der Hamas und des Palästinensischen Islamischen Dschihad neue Kriegsparteien (Hisbollah, Iran usw.) auftauchen würden. Eine weitere Variante wäre die Entscheidung Israels, die al-Aqsa-Moschee in Jerusalem endlich in die Luft zu sprengen – getrieben vom Irrglauben, dass dies den palästinensischen Widerstand und die internationale, muslimische Länderkoalition um sie herum völlig demoralisieren würde sowie genügend Platz schaffe, einen jüdischen "Dritten Tempel" zu errichten. Diese hypothetische Entsendung deutscher Soldaten nach Israel schließt ein gleichzeitiges Szenario eines innerdeutschen Bürgerkriegszustandes, in dem die Bundeswehr auch unbedingt vonnöten wäre, nicht aus – beide Prozesse könnten sich parallel entwickeln und sich sogar bedingen, indem die proaktive, muslimische Minderheit in Deutschland – die meisten unter ihnen mit deutschen Pässen – mit dem Entsenden deutscher Bundeswehr-Truppen zur Hilfe Israels verständlicherweise nicht d’accord gehen würde.
Das eigentliche Schicksal der AfD? Tun, was weder die "Ampel" noch die CDU derzeit zu tun imstande wären
Dass unter einer von der AfD geführten Regierungskoalition eine beschleunigte, dringliche Aufrüstung der Bundeswehr stattfinden würde, ist klar. Höchstwahrscheinlich würde die CDU sich als Königsmacher anbieten – ähnlich wie es damals die Zentrumspartei mit der NSDAP von Adolf Hitler tat. Ohne unbedingt die weiteren, üblichen, direkten und verleumdenden Vergleiche zwischen der Alternative für Deutschland und den Nationalsozialisten hier aufstellen zu müssen. Eine absolute Mehrheit bei einer Bundestagswahl kann ich mir einfach bei der AfD in dieser Generation nicht vorstellen. Brot, Käse, Strom und Wohnhaft müssten sonst in Deutschland erst vollkommen unbezahlbar werden. Somit würde die AfD vorerst auf einen Koalitionspartner angewiesen sein. Sahra Wagenknecht schloss das bereits für die Langfrist aus. Also bleiben nur die gegenwärtig von Berührungsängsten gepeinigten Opportunisten unter den Christdemokraten. Der programmatische Zionismus der CDU und der AfD, wie etwa von Kiesewetter oder Gauland verkörpert, könnten den nötigen Cocktail liefern.
Des Weiteren schneidet die AfD seit ihrer Gründung die Coupons dafür ab, dass sie die einzigen Islam-Skeptiker und Abschiebe-Enthusiasten des politischen Spektrums in Deutschland seien. Je mehr muslimische Einwanderer nach Deutschland kommen, umso mehr wird die zionistische Auslegung des Nahostkonfliktes einer diskursiven Mehrheit beraubt, und gleichzeitig ist das einer der Hauptgründe für eine wachsende gesellschaftliche Spannung innerhalb der Bundesrepublik. Ja, die SPD beteuert auch, Israel an erster Stelle zu haben – aber es ist die AfD-Spitze, die in der Position einer zukünftigen Regierungsverantwortung ihren Zionismus wahrhaft tollkühn umsetzen könnte. Der Vorwurf der AfD, dass die alten Systemparteien den innerdeutsch wachsenden "irrationalen muslimischen Antisemitismus" zu verantworten haben, wird den meisten als Begründung für den weiteren politischen Weg des erneut camouflierten Verheizens von deutscher Seite ausreichen.
In einem Inlandeinsatz der Bundeswehr gegen islamische Widerstände, die einen Bürgerkrieg verheißen lassen würden, wäre es eine solche AfD, die eher härter durchgreifen würde, als es die älteren Systemparteien zu tun imstande wären.
Auch wäre es wohl der letztmöglich verbliebene Schachzug, um die sonst unvermeidliche Deindustrialisierung Deutschlands abzuwenden: Das Umschalten und Neuzünden der deutschen Schwerindustrie in den Modus "Krieg". Da versucht selbst der Verteidigungsminister Pistorius mit sanften Schrittchen den Pfad im Rahmen der "Ampel" für die AfD vorzutreten.
Obwohl also Pistorius nicht transparent darüber redete, wie genau Deutschland oder Europa in einen Krieg hineingezogen werden könnten, ist seine generelle Warnung vor der stetig wachsenden Wahrscheinlichkeit eines Krieges in Deutschland und innerhalb Europas durchaus nicht fehl am Platz. Gegen "wen" dies geschehen soll, wird aber aller Offensichtlichkeit halber erst einmal ein "obskures Geheimnis" bleiben.
Elem Chintsky ist ein deutsch-polnischer Journalist, der zu geopolitischen, historischen, finanziellen und kulturellen Themen schreibt. Die fruchtbare Zusammenarbeit mit RT DE besteht seit 2017. Seit Anfang 2020 lebt und arbeitet der freischaffende Autor im russischen Sankt Petersburg. Der ursprünglich als Filmregisseur und Drehbuchautor ausgebildete Chintsky betreibt außerdem einen eigenen , auf dem man noch mehr von ihm lesen kann.
RT DE bemüht sich um ein breites Meinungsspektrum. Gastbeiträge und Meinungsartikel müssen nicht die Sichtweise der Redaktion widerspiegeln.
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