26.05.2024, 20:03
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Differenzierung und Politik – Krah und die Waffen-SS
23. Mai 2024
In den Wiener Straßenbahnen wird man von "Info"-Bildschirmen gequält, die alle jene, die nicht in ihr Smartphone starren, mit linker Propaganda, Klimapanik und selektierten Nachrichten behelligen. Ich versuche, diese Berieselung so gut, wie es geht, zu ignorieren, leider oft erfolglos.
Vorgestern wurde ich überrascht, als das Konterfei eines alten Bekannten auf dem Bildschirm auftauchte: Maximilian Krah, der in einem ein paar kontroverse Dinge über “die SS” gesagt hat, die in der Folge Marine Le Pen den langersehnten und angestrebten Vorwand lieferten, die Zusammenarbeit mit der AfD aufzukündigen.
Wie leider zu erwarten war, fiel die Parteiführung Krah umgehend in den Rücken und erteilte ihrem Spitzenkandidaten für die EU-Wahl ein Auftrittsverbot. Krah fügte sich und verzichtete auf sein Amt im Bundesvorstand.
Was hat er nun Schreckliches gesagt, das derartige Sanktionen rechtfertigt? Hier ist der Wortlaut:
La Reppublica: Herr Krah, Sie haben gesagt, die Deutschen sollen stolz auf ihre Vorfahren sein. Auch wenn es SS-Offiziere waren?
Krah: Es kommt darauf an, was sie getan haben.
LR: Die SS-Leute waren Kriegsverbrecher.
Krah: Man muß die Fehler individuell bewerten. Am Ende des Krieges gab es fast eine Million SS-Angehörige, auch Günter Grass war in der Waffen-SS. Die Verwandten meiner Frau waren Deutsche, die in Ungarn lebten. Sie hatten die Wahl, sich bei der ungarischen Armee oder bei der SS zu melden. Hätten sie sich als Deutsche zur ungarischen Armee gemeldet, so wußten sie aus dem Ersten Weltkrieg, wäre das ein Todesurteil gewesen. Unter den 900,000 SS-Leuten waren auch viele Bauern: Es gab sicherlich einen hohen Prozentsatz an Kriminellen, aber nicht alle waren kriminell. Ich würde nie sagen, daß jeder der eine SS-Uniform trug, automatisch ein Verbrecher war.
Deswegen also gackern nun die Hühner im Schuldkultstall, gezielt aufgescheucht, um Krah und der AfD Schaden zuzufügen. Weil die Absicht klar ist, ist es auch müßig, gegen das Geschrei argumentativ vorgehen und redlich ergründen zu wollen, ob und inwiefern diese Aussagen legitim und diskutabel sind (man könnte diese Frage auch stellen).
Die Frage an Krah wurde natürlich in mala fide gestellt. Auf dem Gebiet dieses Reizthemas dürfen keine Ansichten abseits der etablierten manichäischen Deutungsmuster geäußert werden. Die herrschende Ideologie des “Westens” braucht ihren Satan und ihr absolut Böses als konstitutives Gegenbild, weshalb sie keine Differenzierungen und Relativierungen zulassen darf, zumindest auf der politischen Bühne.
Krah hat nun vergessen, daß er auf der Bühne steht, und eine ehrliche Antwort auf eine unehrliche Frage gegeben. Damit ist er in die Falle getappt, die ihm die Journalisten gelegt haben. Mit dem Rückhalt der Parteiführung war natürlich nicht zu rechnen. Ist der bewährte Reflexknopf einmal gedrückt, fallen zuverlässig alle um. Niemand will mehr nachdenken, alle wollen den Hintern an die Wand bekommen.
Aus der Perspektive unserer rechten “Blase”, in der die Auseinandersetzung mit dem ehemals “Vergangenheitsbewältigung” genannten Komplex historischer Verzerrung und Instrumentalisierung seit langen, allzu langen Jahrzehnten zum täglich Brot gehört, hat Krah nichts Besonderes, Ungewöhnliches oder Anstößiges gesagt. Reaktionen aus einem vermeintlich “konservativen” Medium, wirken auf uns, die wir uns schon bißchen länger mit dem Thema beschäftigen, dumm, uninformiert und reflexhaft.
Wir alle kennen zum Beispiel die berühmte aus dem Jahr 1952. Dieser hatte im Bundestag gesagt:
Ich möchte heute vor diesem Hohen Hause im Namen der Bundesregierung erklären, daß wir alle Waffenträger unseres Volkes, die im Namen der hohen soldatischen Überlieferung ehrenhaft zu Lande, auf dem Wasser und in der Luft gekämpft haben, anerkennen.
Auf Nachfrage des damaligen Sprechers der Angehörigen der Waffen-SS, SS-Oberst-Gruppenführer und Generaloberst der Waffen-SS a. D. Paul Hausser, antwortete Adenauer am 17. Dezember 1952:
Einer Anregung nachkommend, teile ich mit, daß die von mir in meiner Rede vom 3. Dezember 1952 vor dem Deutschen Bundestag abgegebene Ehrenerklärung für die Soldaten der früheren deutschen Wehrmacht auch die Angehörigen der Waffen-SS umfaßt, soweit sie ausschließlich als Soldaten ehrenvoll für Deutschland gekämpft haben.
Der SPD-Politiker , der zwischen 1933 und 1945 in verschiedenen Konzentrationslagern inhaftiert war, :
Aus dem Zweiten Weltkrieg sind mehr als neunhunderttausend Angehörige der Waffen-SS zurückgekehrt. Diese Waffen-SS ist weder mit der allgemeinen SS noch mit den speziellen Organisationen der Menschenvernichtung gleichzusetzen. Sie war für Kriegszwecke geschaffen. Sicher sind viele der jungen Männer Träger einer spezifisch hitlerischen Ideologie gewesen, ohne aber die Verbrechen der zwölfjährigen Diktatur als solche zum Bestandteil ihrer politischen Zielsetzung zu machen. Hunderttausende aber sind ohne ihr Zutun für die SS als Wehrmachtsteil eingezogen und dahin abkommandiert worden.
Die Mehrzahl dieser neunhunderttausend Menschen ist in eine ausgesprochene Pariarolle geraten. Sie sind kollektiv haftbar für die Verbrechen des Sicherheitsdienstes, des SD, und der LLgRi7cWeUUu5zpB7dekZFapB2XdRCvM4N gemacht worden, obwohl sie als Waffen-SS kaum nähere Berührung damit hatten als manche andere Wehrmachtsteile. Zu jedem totalitären System hat es gehört, mit allen Methoden der Verstrickung ein Ergebnis der Mitschuld aller zu erzeugen. (…)
Die Sozialdemokratische Partei ist ausgegangen und geht aus von jeder Ablehnung und Bekämpfung der Kollektivschuld. (…)
Uns scheint es eine menschliche und staatsbürgerliche Notwendigkeit zu sein, diesen Ring zu sprengen und der großen Masse der früheren Angehörigen der Waffen-SS den Weg zu Lebensaussicht und Staatsbürgertum freizumachen. (…)
Ihnen, die keine kriminelle Schuld auf sich geladen haben, sollte man die Möglichkeit geben, sich erfolgreich mit der für sie neuen Welt auseinanderzusetzen.
Auch von Helmut Schmidt gibt es ein Zitat, aus einem Artikel mit dem Titel “Keine Kollektivschuld”, Die Zeit, 12. 11. 1965:
Man darf nicht in den Fehler verfallen, alle 900.000 Soldaten der Waffen-SS mit einer besonderen Kollektivschuld zu beladen und sie mit den SS-KZ-Bewachungsmannschaften in einen Topf zu werfen.
Dann ist uns verbliebenen Menschen mit historischem Gedächtnis noch die aus dem Jahr 1985 geläufig: Eine gemeinsame Kranzniederlegung von Ronald Reagan und Helmut Kohl auf dem Soldatenfriedhof Bitburg anläßlich des vierzigsten Jahrestages der deutschen Kapitulation erregte die moralische Empörung mancher beflissener Gemüter, weil dort auch 43 Gefallene der Waffen-SS begraben waren, die meisten von ihnen noch keine zwanzig Jahre alt.
Einer, der sich ganz besonders breit aufplusterte, war Günter Grass, der sich viele Jahre später selbst als ehemaliges Mitglied eben jener verfemten Truppe “outen” sollte.
kritisierte er Kohl dafür, in Bitburg auch einigen seiner gleichaltrigen gefallenen Kameraden die Ehre erwiesen zu haben:
… im Umgang mit dem amerikanischen Präsidenten fiel ihm zum 8. Mai eine Geschichtsklitterung ein, deren auf Medienwirkung bedachtes Kalkül Juden, Amerikaner und Deutsche, alle Betroffenen gleichermaßen, verletzt. Als hätten wir nicht Bürde genug, erweist sich Kohl als zusätzliche Belastung der deutschen Geschichte; doch auch diesen Ballast haben wir uns verdient.
Und wie sah das Kohl selber? In seinen Memoiren :
Es lagen also SS-Soldaten auf dem Soldatenfriedhof in Bitburg – und über diesen Gräbern sollte der amerikanische Präsident eine Geste der Versöhnung zeigen? Das war zu viel für viele Reagan-Kritiker, zu viel für meine Kritiker.
Doch wer sich mit der Geschichte der Waffen-SS beschäftigt, weiß, dass viele dieser blutjungen Soldaten gar keine Chance hatten, dem Einberufungsbefehl zur Waffen-SS zu entgehen.
Ich ließ mir damals die Namen und Daten von den Grabplatten notieren. Von den neunundvierzig namentlich auf den Grabplatten des Friedhofs in Bitburg aufgeführten SS-Soldaten waren zweiunddreißig an ihrem Todestag jünger als zwanzig Jahre. Es handelt sich also um im Alter von siebzehn, achtzehn und neunzehn Jahren Gefallene.
Ihr junges Leben währte viel kürzer als die Zeit, die uns 1985 von ihrem Todestag trennte. Sie starben in einem barbarischen Krieg. Es ist wahr, dass die Verstrickungen unserer jüngsten Geschichte schon für die, die dabei waren, schwer begreiflich sind. Um wie viel mehr sind sie für eine nachgewachsene Generation oft genug kaum begreiflich – und für jene, die nicht hier lebten, die in einem anderen Kontinent aufwuchsen, müssen sie ganz unbegreiflich sein.
Ich denke, uns steht ein Urteil über eine solche Haltung oder gar eine Verurteilung nicht zu.
Armin Mohler, der Schweizer, der sich 1941 freiwillig zur Waffen-SS melden wollte, aber (zu seinem eigenen Glück) abgelehnt wurde, kommentierte den Fall Bitburg in seinem Buch Der Nasenring (1991) so:
Der mit Medien-Tricks unternommene Versuch, Gefallene der Waffen-SS zu kriminalisieren, verletzte das tief im Menschen verankerte Gefühl, daß der Streit der Menschen an Gräbern zu enden habe. Selbst für den durchschnittlich unreligiösen Menschen unserer Gesellschaft ist ein Nichtbeachten dieses Gebots ein instinktiv erkannter Verstoß gegen die Allmacht des Todes in seiner Unbedingtheit und Unwiderruflichkeit. Es ist für ihn schlicht unmenschlich.
Der Versuch, die Problematik mit Hilfe der Geburtsdaten zu entschärfen (bis zu welchem Alter ist ein Toter der Waffen-SS ein verführter Jugendlicher, von welchem Alter an ist er ein voll verantwortlicher und damit kriminalisierbarer Erwachsener?), ist nicht viel besser als jener Tabu-Bruch. In beiden Fällen handelt es sich um Verhaltensweisen, für die es in einer normalen, unkorrumpierten menschlichen Gemeinschaft keine Entschuldigung gibt.
Nun: Von dieser Art “normaler Gemeinschaft” sind wir heute weit entfernt. “Nazis” sind in der kollektiven Vorstellung der Nach-Nachgeborenen keine “Menschen” und verdienen deshalb auch nicht, als solche behandelt oder betrachtet zu werden; dumm nur, wenn man seine eigenen Vorfahren mit diesen Un-Menschen identifiziert und sich selbst und das Volk, dem man angehört, als gleichsam genetisch schuldbeladen sieht.
Wir Veteranen aus früheren Junge-Freiheit-Zeiten kennen diese ermüdenden, immergleichen Debatten noch und nöcher.
Erst vor knapp einem Jahr, im Juli 2023, hat die inzwischen ziemlich glatt gebügelte JF ein besonders eindrucksvolles Buch zu diesem Thema neu aufgelegt: des Journalisten und Schrifstellers Wolfgang Venohr (1925–2005), in dem er seine Jahre als jugendliches Mitglied der Waffen-SS schildert, an der Ostfront und vor allem, besonders erschütternd, in jenen entscheidenden Monaten, in denen die sowjetische Armee unerbittlich ins Deutsche Reich vordrang.
Ab einem bestimmten Punkt wußten die jungen Soldaten, daß der Krieg verloren war, und ihr Kampf nur noch dem Gewinn von Zeit diente, etwa um hunderttausenden Menschen aus Ostpreußen, Pommern und Schlesien die Flucht von den heranrückenden Russen zu ermöglichen.
Venohr beschrieb sein Buch so:
Die Darstellung ist geprägt vom heißen Atem der Front, von den Leidenschaften des Kampfes, von der glühenden Vaterlandsliebe eines 17- bis 19jährigen jungen Menschen. So erklärt sich auch der erstaunliche Frontenthusiasmus, der aus jeder Zeile spricht. Dabei wird nichts verschwiegen; eine Romantisierung der Waffen-SS findet nicht statt.
Die unglaubliche Brutalität der Trossknechte in der Etappe kommt ebenso zur Sprache wie das Phänomen der politischen Blindheit, das die Männer an der Front gefangen hielt, oder mein hoffnungsloser Versuch, diese Blindheit aufzubrechen, der mich fast vor das Kriegsgericht brachte.
Spätere Erkenntnisse und Einsichten der Nachkriegszeit sind absichtlich nicht berücksichtigt worden, um der Authentizität, um der Ehrlichkeit keinen Abbruch zu tun.
Die Abwehrschlacht thematisiert auch den Zusammenbruch des Weltbildes des Autors im Zuge der traumatisch erfahrenen deutschen Niederlage. Unter dem Einfluß von Ernst Niekisch wandte er sich später einer Art von linkem Patriotismus zu, mit einer besonderen Vorliebe für das Preußentum, dessen Geschichte er etliche Bücher widmete, darunter Preußische Profile, das in Zusammenarbeit mit seinem Freund Sebastian Haffner entstand.
1974 drehte Venohr zusammen mit dem Historiker Heinz Höhne, dessen Buch Der Orden unter dem Totenkopf als Standardwerk über die SS gilt, eine dreiteilige Serie über die Waffen-SS für Stern-TV, die in der ARD ausgestrahlt wurde (und die zur Zeit offenbar nirgendwo greifbar ist). Auf Wikipedia kann man lesen:
Venohr verteidigte die Serie gegen den Vorwurf des Geschichtsrevisionismus, der insbesondere von Rupert Neudeck in der katholischen Zeitschrift Funkkorrespondenz erhoben wurde: „Wir haben nie verhehlt, daß wir das Kollektivurteil über die Soldaten der Waffen-SS für falsch und ungerecht halten.“
Anläßlich der Erstauflage seines Buches gab Venohr der JF 2002 . Hier ein paar Zitate:
JF: Wie erklären Sie denn einem heute 17-jährigen, weshalb Sie sich 1942 freiwillig als 17jähriger ausgerechnet zur Waffen-SS, zur “Leibstandarte Adolf Hitler” meldeten?
Venohr: Das ist fast unmöglich. Das versuche ich gerade bei einem meiner beiden Enkel. Der ist 20 Jahre alt und dient als Soldat. Er fragt mich ständig neugierig aus, aber ich glaube, verstehen tut er überhaupt nichts. Ich denke, daß die ganze junge Generation das nicht mehr verstehen kann. Es sei denn, man schnappt sich denjenigen am Kragen und setzt ihn vor das Fernsehgerät und führt ihm den Film “Leibstandarte Adolf Hitler im Einsatz” vor, der mich damals als Schüler so beeindruckt hat.
JF: Dieser Kinofilm hat Sie so begeistert, daß Sie sich bei dieser Einheit meldeten?
Venohr: Ja. Eigentlich wollte ich zum “Regiment Großdeutschland” gehen, das war mein Wunsch, das war mein Ziel. Doch dann sah ich im Januar 1942 im Kino diesen Film. Es war ein Dokumentarfilm von 30 Minuten. Er hat mich veranlaßt, mich zum Regiment Leibstandarte anstatt zum Regiment Großdeutschland zu melden. (…)
JF: Spielte die NS-Ideologie eine Rolle bei Ihrer Entscheidung, in der Waffen-SS zu dienen?
Venohr: Es ging kaum einer von diesen 17‑,18‑,19jährigen aus Gründen des Nationalsozialismus zur Waffen-SS. Man sah 1942 als Schüler überhaupt keinen Unterschied, denn schließlich hielten wir alle damals die ganze Wehrmacht für nationalsozialistisch. Daran gab es doch gar keinen Zweifel, daß alle Soldaten treu und loyal zu ihrem Führer und Obersten Befehlshaber standen. Man hätte sich auch in der Klasse oder in der Hitlerjugend lächerlich gemacht, wenn man gesagt hätte, man gehe aus politischen Gründen zur Waffen-SS. Man wäre für verrückt erklärt worden. Man ging zur Waffen-SS, wie man sich zu den Fallschirmjägern meldete. Man wollte zu einer militärischen Eliteeinheit, das war das Ziel.
JF: Der zweite Band Ihrer Lebenserinnerungen nennt sich “Die Abwehrschlacht”. Warum trägt das Buch diesen Titel?
Venohr: Ich habe als Soldat nur an der zweiten Hälfte des Zweiten Weltkrieges teilgenommen. Von der Jahreswende 1942/43 bis 1945, in der Zeit, in der ich Soldat war, hat sich mir der Krieg dargestellt als Abwehrschlacht zur Verteidigung des Reiches. Für mich war es ein großer vaterländischer Krieg. Diese Abwehrschlacht setzte nach der Katastrophe von Stalingrad ein, und nachdem uns die Forderung der Alliierten nach “unconditional surrender” – bedingungsloser Kapitulation – bekannt geworden war. Von da ab galt es nur noch, das Reich nach allen Seiten zu schirmen und zu verteidigen – deshalb “Die Abwehrschlacht”.
Ein weiteres Buch, das eine Jugend in der Waffen-SS thematisierte, war Die Toten sind immer die anderen (2009) von Rudolf Kreis. :
Wer das Kapitel »D‑Day« aus der Lebenserzählung von Rudolf Kreis gelesen hat, begreift, warum dieser Mann sein Entkommen als Auftrag für eine breit angelegte Selbstprüfung ansah. Er landete in der SS-Division »Hitlerjugend«, fand sich als 17jähriger in den Tagen von Caen der materiellen Überlegenheit der alliierten Landungstruppen ausgesetzt, tötete, sah Gleichaltrige krepieren und überlebte das Gefangenenlager bei Bad Kreuznach. Am 8. Juli ’45 wurde er entlassen. Was danach kommt, ist aus der Sicht des heute 83jährigen völlig unspektakulär, ist Epilog.
Ich wechselte mit Kreis einige Briefe. Im vorläufig letzten schreibt er: »Es war aber die im tiefsten ergreifende Seinserfahrung unserer Generation, daß wir Menschen alle, in bestimmte Situationen gebracht, zu jedem Verbrechen fähig sind.« Aus dieser Erfahrung heraus will er also seinen Beitrag zu einer sachgerechten Geschichtsschreibung leisten, »die nicht länger rechtet und richtet, die ohne das Geländer des Systemdenkens auskommt, die keine politische Dienstleistung erbringt und deren Medium das Erzählen zu sein hat.«
Diese Hinweise sollten erstmal ausreichen, um zu untermauern, daß Maximilian Krahs zum zweckmäßigen Skandal aufgeblasene Aussagen keineswegs so abwegig oder haarsträubend sind, wie nun jene suggerieren, die aus ihnen politisches Kapital münzen. Konrad Adenauer, Kurt Schumacher, Helmut Schmidt und Helmut Kohl, allesamt Männer, die den Krieg miterlebt hatten, waren derselben Meinung wie er.
Krah, ausgerechnet Krah, hat für einen Moment vergessen, daß er Politiker ist, und eine differenzierte und sachliche Antwort gegeben (vielleicht hätte er deutlicher zwischen “schwarzer” SS und Waffen-SS unterscheiden sollen). Man kann aus ihr beim besten Willen keine Leugnung oder “Relativierung” von SS-Verbrechen herauslesen, aber das ist für das Stück, in das man ihn gelockt hat wie auf ein Minenfeld, auch völlig egal. Das soll heißen, es ist denen, die ihm und der AfD an den Kragen wollen, in Wahrheit völlig egal. Hauptsache, sie bekommen auf diese Weise, per “Nazi!”-Geschrei, was sie wollen.
Ich finde Krahs Ehrlichkeit fast schon rührend, denn er hätte sich schließlich auch nach üblicher Politikermanier um die Frage herumwinden und ‑biegen können, und stattdessen irgendetwas Gefälliges, Konformes, Glitschiges sagen.
Stattdessen hat er sich zu einem Spiel verführen lassen, das man angesichts der medialen und politischen Machtverhältnisse nur verlieren kann.
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Quelle:
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