08.12.2024, 16:47
(Dieser Beitrag wurde zuletzt bearbeitet: 08.12.2024, 16:48 von Klartexter.)
Kurzer Prozess nach Volksverhetzungs-Anklage
8. Dezember 2024
Justizopfer: Rentnerin Doris G.
Die 74-jährige Rentnerin Doris G. ist für einen migrationskritischen Facebook-Kommentar zu einem Habeck-Zitat zu fast 8.000 Euro Geldstrafe verurteilt worden. Im Prozess ging es auch um die „falsche“ politische Meinung der Angeklagten.
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„Ich hoffe natürlich, dass ich nichts bezahlen muss. Oder gar ins Gefängnis muss“, sagte Doris G. am Freitagmittag auf die Frage eines TV-Reporters, was sie von ihrem Prozess am Amtsgericht Düsseldorf erwarte. Die Rentnerin hatte am 8. Oktober 2023 auf Facebook einen Artikel gesehen, in dem Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) abgebildet war und mit der Aussage „Deutschland ist auf Zuwanderung angewiesen, um den Arbeitskräftebedarf zu decken“ zitiert wurde.
„Die Aussage von Habeck hat mich wütend gemacht“, schilderte die 74-Jährige. Sie habe ihr ganzes Leben lang gearbeitet und nun kein Verständnis für die deutsche Migrationspolitik. „Blablabla. Wir brauchen Fachkräfte und keine Asylanten, die sich hier nur ein schönes Leben machen wollen, ohne unsere Werte und Kultur zu respektieren. Schickt die, die hier sind, mal zum Arbeiten. Wir sind nicht auf Faulenzer und Schmarotzer angewiesen und schon gar nicht auf Messerkünstler und Vergewaltiger“, schrieb sie daraufhin in ihrem Ärger unter den Artikel mit Habecks Bild und Zitat.
Als ihr mitgeteilt wurde, dass die Staatsanwaltschaft Düsseldorf sie deswegen wegen Volksverhetzung angeklagt hat, sei sie „erschrocken“ gewesen. Sie habe nur ihre politische Meinung kundtun wollen, erläuterte sie den Journalisten weiter. Jemanden aufzuhetzen, sei nie ihre Absicht gewesen. Auf Nachfrage sagte ihr Verteidiger Dieter Kottirre, weder ihm noch seiner Mandantin sei mitgeteilt worden, wer die Anzeige gestellt hatte, die zu dieser Anklage und nun zum Prozess geführt hat.
Der Raumbelegung des Amtsgerichts war zu entnehmen, dass für den Prozess gegen die Rentnerin gerade mal 30 Minuten vorgesehen waren. Damit wirkte es, als ob das Gericht mit Doris G., die in einer Stadt wie Düsseldorf mit 1.600 Euro Rente im Monat zurechtkommen muss, „kurzen Prozess“ machen wollte.
„Ich habe kein Volk verhetzt“
Und genau so kam es auch: Zuerst warf ihr eine Staatsanwältin bei der Verlesung des Anklagesatzes vor, die Rentnerin habe mit ihrem Facebook-Kommentar „in einer Art, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören, zum Hass aufgestachelt“. Dabei fiel auf, dass die Anklagebehörde bei diesem Fall gleich zwei Staatsanwälte aufbot. Selbst bei Terror-Verfahren lassen sich nordrhein-westfälische Staatsanwaltschaften vor Gericht oftmals nur durch einen ihrer Mitarbeiter vertreten.
„Ich habe kein Volk verhetzt“, verteidigte sich Doris G. „Der Kommentar spiegelt meine Wut über die Aussage von Habeck wider.“ Für dessen Position habe sie vor dem Hintergrund so vieler eigener Arbeitsloser kein Verständnis, fuhr sie fort. Mit dem letzten Satz ihres Kommentars aber sei sie „übers Ziel hinausgeschossen“. Da sei ihre Wortwahl „ein bisschen heftig“ gewesen. „Das hat mir auch leid getan.“ Deswegen habe sie Facebook auch danach verlassen, beteuerte sie.
Die Anklage aber überzeugte das nicht: „Das klang jetzt gerade so, als ob Sie die Politik auch weiterhin nicht gutheißen würden“, fuhr ein Staatsanwalt die Rentnerin an. Damit zeigte der selbstbewusst auftretende junge Staatsanwalt zum ersten Mal offen, dass es ihm offenbar doch um die politische Meinung der Angeklagten gegangen ist.
Da aber war Doris G. in der Defensive, denn gegen sie wurde bereits 2022 ein Strafbefehl wegen „übler Nachrede gegen Personen des öffentlichen Lebens“ erlassen. Hintergrund war, so ihre Darstellung nach Prozessende, das Teilen eines Artikels, in dem Grünen-Politiker negativ dargestellt wurden. Auf Nachfrage des Richters, ob die Geldstrafe bereits bezahlt ist, musste sie einräumen, dass sie als Rentnerin lediglich 50 Euro im Monat abbezahlen könne.
Zum Hass anstacheln?
In ihrem Plädoyer forderten die Vertreter der Staatsanwaltschaft, Doris G. zu einer Geldstrafe von 160 Tagessätzen zu verurteilen. Dabei müsse ihr Geständnis sowie ihre „Reue und Einsicht“ strafmildernd berücksichtigt werden. Ihre „massive Politikkritik“ müsse jedoch strafschärfend berücksichtigt werden. Mit dieser auffälligen Wortwahl erweckte der Staatsanwalt zum zweiten Mal innerhalb weniger Minuten den Eindruck, die Anklage gegen Doris G. sei offenbar doch in ihrer politischen Meinung begründet.
Solche Kommentare wie der von Doris G. seien „demokratiefeindlich“ und könnten „die Spaltung des Volkes herbeiführen“, fuhr der Staatsanwalt fort. „Das sehen wir nicht so“, begann Dieter Kottirre sein Plädoyer. „Das ist eine Meinung, die mittlerweile von fünfzig Prozent der politischen Parteien vertreten wird“, argumentierte der Verteidiger. „Und dann muss es auch einer einfachen Bürgerin erlaubt sein, sich so zu äußern.“
Der Facebook-Kommentar seiner Mandantin sei eine politische Meinungsäußerung „mit einem emotionalen Endsatz“ gewesen, fuhr er fort. Doris G. sei weder „demokratiefeindlich“ noch trügen solche Meinungsäußerungen zur „Spaltung“ der Bevölkerung bei. Und für die Wortwahl in ihrem letzten Satz habe sie bereits Reue gezeigt. Kottirre beantragte eine milde Geldstrafe für seine Mandantin. „Ich kann mir aber auch einen Freispruch vorstellen“, beendete er sein Plädoyer.
Unmittelbar darauf verurteilte Richter Tobias Kampmann die Rentnerin wegen Volksverhetzung zu 150 Tagessätzen in Höhe von 53 Euro, also einer Geldstrafe in einer Gesamthöhe von 7.950 Euro. Zu Beginn seiner Begründung sprach der Einzelrichter von dem „Spannungsverhältnis“ zwischen legitimer Meinungsfreiheit und strafbarer Volksverhetzung. Anfänglich wirkten seine Ausführungen wie Bemühungen, dem durch die Ungeschicklichkeiten der Staatsanwaltschaft hervorgerufenen Eindruck, die Rentnerin sei in Wahrheit wegen ihrer politischen Meinung angeklagt worden, entsprechend entgegenzuwirken.
„Wenn aber Teile der Bevölkerung so angegangen werden, dass zum Hass aufgerufen wird“, sei eine Volksverhetzung im strafrechtlichen Sinne gegeben, fuhr Kampmann fort. Das sei der „Kontext, der hier berücksichtigt werden muss“. Damit begründete er die schmerzhafte Geldstrafe faktisch mit dem letzten Satz des Facebook-Kommentars von Doris G. Dieser sei auf „Leute“ bezogen, „die als Asylbewerber bereits nach Deutschland gekommen sind oder noch nach Deutschland kommen werden“, fuhr er fort. „Anders kann man das nicht verstehen.“ Und damit würde der Kommentar der Rentnerin „zum Hass anstacheln“, was als Volksverhetzung zu werten sei, subsumierte der Richter.
Strafverschärfende falsche Meinung?
In der Gesellschaft bestünden „Ängste und Vorbehalte“ gegenüber Asylbewerbern, so der Richter weiter. Und der Facebook-Kommentar von Doris G. „bewege sich sehr nahe an diesen Vorbehalten und der Medienberichterstattung dazu“, sagte Kampmann. Mit seiner Behauptung, diese „Vorbehalte“ seien „falsch“, schlug die Begründung des Richters jedoch plötzlich selbst in eine politische Meinungsäußerung um. Denn mögliche Zusammenhänge zwischen dem Anstieg der Migration sowie dem der Messer- und Sexualdelikte werden innenpolitisch schon seit Jahren kontrovers diskutiert.
Faktisch machte Tobias Kampmann mit seiner Darstellung der „falschen Vorbehalte“ nicht weniger, als in einer partei- und innenpolitischen Kontroverse Partei zu ergreifen. Dabei argumentierte er mit Zahlen, die belegen würden, dass es keinerlei entsprechenden Sachzusammenhang geben würde. Wo diese zu finden seien, verriet der Richter jedoch mit keinem einzigen Wort.
Stattdessen stellte er die politische Situation und die Stimmungslage in der Bevölkerung so dar, als würden Medienberichte und Facebook-Kommentare einen Zusammenhang suggerieren, den es in Wahrheit gar nicht gebe. „Wenn man das immer wieder liest, dann glaubt man das“, sagte er. „Und deswegen ist das eine Volksverhetzung.“ Und eine Straffreiheit könne es für Doris G. „wegen des engen zeitlichen Zusammenhangs“ mit ihrem Strafbefehl nicht geben, beendete Kampmann seine Urteilsbegründung.
Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Man wolle sich erst einmal beraten, sagten Doris G. und ihr Anwalt nach Prozessende auf die Frage nach einer möglichen Berufung. Im Falle einer Berufung würde der Fall vor dem Landgericht Düsseldorf neu verhandelt.
Im Falle der Rechtskraft des Urteils müsste die 74-Jährige wohl bis an ihr Lebensende für ihre Grünen-Kritik bezahlen. Denn der Strafbefehl aus dem Jahr 2022 lautete auf 130 Tagessätze in Höhe von jeweils 30 Euro. Zusammen mit der Strafe vom Freitag ergeben sich damit insgesamt 11.850 Euro Strafe. Und da würde sich deren Bezahlung bei monatlichen Raten in Höhe von 50 Euro auf mehr als 19 Jahre erstrecken.
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"Wenn Unrecht Gesetz wird,wird Rebellion Pflicht."
Der Klartexter
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