Aufstand gegen Karl Lauterbach: »Mal ehrlich, es gab massive inhaltliche Verständigungsprobleme«
Verfasst von Mike am 19.11.2022
Zu viel Stress, zu wenig Kommunikation – im Bundesgesundheitsministerium wächst die Unzufriedenheit mit Karl Lauterbach. Auf einer Personalversammlung hagelt es Beschwerden. Und was entgegnet der Chef? 
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Gesundheitsminister Lauterbach - 
Foto: Clemens Bilan / EPA 

Am Mittwoch dieser Woche versucht das Bundesgesundheitsministerium, eine digitale Personalversammlung abzuhalten. Die einen sitzen in Bonn, die anderen in Berlin, viele haben sich von unterwegs zugeschaltet. Man würde meinen, dass Videoschalten nach fast drei Jahren Pandemie zumindest für das zuständige Corona-Ministerium zur Routine geworden sind – aber dem ist nicht so.
»Ich versuch mal, den Lautsprecher ein- und auszumachen, aber der reagiert irgendwie nicht«, sagt einer. »Bei mir ist jetzt Rot, haben Sie mich ausgeschaltet?«, fragt ein anderer. »Nein, ich habe Sie nicht ausgeschaltet.« Man habe noch technische Probleme, entschuldigt sich der Personalratsvorsitzende. Daher ziehe man jetzt in einen Sitzungsraum um. Das sei zwar »wenig Corona-konform, aber technisch funktioniert’s«, sagen die Organisatoren.
Gut 600 Leute aus dem Ministerium haben sich zugeschaltet, das Interesse ist groß, die Stimmung schlecht. Nicht wegen der technischen Störungen, sondern wegen der Arbeitskultur, für die die Belegschaft Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) verantwortlich macht. Dem SPIEGEL liegt der Wortlaut der Sitzung vor.

Viele Beamtinnen und Beamten hatten gehofft, nach der Hochphase der Pandemie nun aufatmen zu können. Da hatten sie die Rechnung ohne Lauterbach gemacht. Seit der Sozialdemokrat im Amt ist, hat das Ministerium rund 40 Gesetze und Verordnungen auf den Weg gebracht, darunter mehrere Änderungen am Infektionsschutzgesetz, ein Gesetz für Triage, ein neues für die Finanzierung der Gesetzlichen Krankenversicherung und eines zur Entlastung der Pflegekräfte. Dazu kommt noch das Mega-Projekt Cannabis-Legalisierung. Vorgänger Jens Spahn (CDU) kam im ersten Amtsjahr nur auf etwa sieben – und galt schon als »Tempominister«.

Wir sind besorgt, dass es ohne Entlastungen zu vermehrten krankheitsbedingten Ausfällen kommt«
Aus einem Brief des Hauptpersonalrats

Unter Lauterbach haben mehrere Abteilungen Überlastungsanzeigen geschrieben, wie der Hauptpersonalrat schon vor der Sitzung in einem Brief festhält. »Die Mehrbelastungen wirken sich bereits jetzt auf die Gesundheit der Beschäftigten aus. Wir sind besorgt, dass es ohne Entlastungen zu vermehrten krankheitsbedingten Ausfällen kommt.«
Eine Umfrage des Personalrats zeigte: Die Stimmung ist mies. 31 Prozent der Befragten sehen sich überlastet oder sehr überlastet. 37 Prozent schaffen ihre Arbeit nicht in der vorgesehenen Regelarbeitszeit. 40 Prozent der Befragten geben an, die Zusammenarbeit mit der Hausleitung laufe nicht gut. 31 Prozent hätten für ihre Aufgaben gern realistischere Fristen. »Die bekannte Anzahl der Überstunden, Stunden auf Langzeitkonten usw. stehen deutlich für Arbeitsbelastung und nicht für schlechte Arbeitsqualität«, kritisiert die Gleichstellungsbeauftragte des Ministeriums in einem Brief.
Als Lauterbach um 10:11 Uhr das Wort ergreift, versucht er, den Unmut der Belegschaft aufzunehmen, aber so richtig gelingt es ihm nicht. »Wir haben den größten Anteil unserer im Koalitionsvertrag angegebenen Ziele angefangen. Wir arbeiten in hohem Tempo, in hoher Taktung«, sagt er. »Ohne Ihren Einsatz wäre es nicht möglich gewesen.«


Sitz des Bundesgesundheitsministeriums in Berlin - 
Foto: Sean Gallup/ Getty Images 

Lauterbach betont, wie dringlich die Aufgaben des Hauses seien: »Wir können die Überlastung der Pflegekräfte nicht zulassen. Wir können die Energiepreise nicht steigen lassen. Wir können die Pandemie nicht unbewältigt lassen!«, ruft er ihnen entgegen. Der Tenor: Erst kommt die Arbeit, dann die eigene Befindlichkeit.
»Wir haben eine starke Belastung zu schultern«, sagt der Sozialdemokrat, die Ergebnisse der Umfrage hätten ihn deshalb nicht überrascht. Auch in anderen Ministerien werde hart gearbeitet. Im Wirtschafts- oder Finanzministerium sei die Belastung extrem, ebenso im Kanzleramt. Er will die Stimmung mit einem Witz auflockern. »Sie wissen, ich esse salzlos und vegetarisch, aber bislang gibt es das in der Kantine nicht. Es wäre schön, wenn der Minister mal etwas zu essen bekäme in der Mittagszeit.«
Doch sein Publikum ist nicht zu Scherzen aufgelegt. Eine zentrale Kritik gilt Lauterbachs Kommunikationsverhalten. »Werden Sie mehr mit den Kolleginnen und Kollegen sprechen?«, fragt eine Frau. »Sie sagen, Sie wären ein Rückspracheminister. Den Eindruck haben die Leute nicht.«

»Massive inhaltliche Verständigungsprobleme«
Gleichstellungsbeauftragte Birgit Mohns

Lauterbach entgegnet, er halte »im Vergleich zu anderen« andauernd Rücksprache mit den Abteilungsleitern. Die Gesetze würden »auch von mir inhaltlich gut durchdrungen«, das beschleunige die Verfahren. Viele dieser Runden mit Abteilungsleitern würden aber nicht nach unten weitergegeben, sagt der Minister.
Ein anderer Ministeriumsmitarbeiter fragt: »Muss man sich bei Twitter anmelden, oder wie kommt man als Beschäftigter an seine Informationen?« Als Beispiel wird die Diskussion über die Hebammen genannt. Die Fachebene hatte dafür plädiert, dass sie nicht Teil des Pflegebudgets der Krankenhäuser bleiben, Lauterbach entschied nach einem öffentlichen Aufschrei anders .
Die Kritik prallt an Lauterbach offenbar ab. Es sei eben manchmal so, dass Mitarbeitende in Fachabteilungen solche Details zeitgleich mit oder aus der Presse erführen, sagt der Minister. »Wir arbeiten mit kurzen Fristen.« Eine Leitungsvorlage, die ihn erreiche, dürfe nicht länger als 24 Stunden liegen, er entscheide noch am selben Tag.
Lauterbach beteuert, er lege Wert darauf, für alle ansprechbar zu sein, unabhängig von der Hierarchie. Das sei in der Vergangenheit anders gewesen. »Das, was Sie empfinden und was die Kollegen empfinden, geht auseinander«, antwortet eine Mitarbeiterin.
Nach knapp eineinhalb Stunden verabschiedet sich Lauterbach mit den Worten: »Ich glaube, wir verstehen uns hier und sollten uns auch als Team verstehen. Wir können hier wirklich nur als Team miteinander klarkommen. Ich freue mich auf die gute Zusammenarbeit in der Zukunft.«
Wenige Stunden nach der Sitzung schickt die Gleichstellungsbeauftragte, Birgit Mohns, ein zweiseitiges Schreiben an die Belegschaft. »Mal ehrlich«, fasst sie die Stimmung zusammen, »bei dieser Videoschalte gab es m.E. nicht nur technische, sondern auch massive inhaltliche Verständigungsprobleme.«

Quelle: https://www.spiegel.de/politik/deutschland/aufstand-gegen-karl-lauterbach-mal-ehrlich-es-gab-massive-inhaltliche-verstaendigungsprobleme-a-bbb2e2d7-c1de-4fbb-b879-ff85508f25f5