17.05.2025, 18:47
(Dieser Beitrag wurde zuletzt bearbeitet: 18.05.2025, 17:38 von Klartexter.)
AfD-Gutachten: Ein Argument für die Auflösung des Verfassungsschutzes (Teil I)
17 Mai 2025
Man muss sich durchbeißen, durch diese mehr als tausend Seiten, und wirklich klüger ist man hinterher nicht. Geschweige denn davon überzeugt, wie böse die AfD ist. Aber darüber, wie sich diese Behörde Dinge zurechtbiegt und welches Denken dort herrscht, erfährt man einiges.
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Das Bundesamt für Verfassungsschutz BfV in Chorweiler. - Quelle: © IMAGO/Christoph Hardt
Von Dagmar Henn
Zwei Vorteile hatte es ja, dass das Gutachten des Bundesamts für Verfassungsschutz nicht veröffentlicht wurde. Zum einen bewahrte es davor, dieses Machwerk tatsächlich lesen zu müssen. Und zum anderen bewahrte es den Verfassungsschutz davor, sich zu entblößen. Denn eines muss man sagen ‒ das, was die Behörde über sich selbst preisgibt, über die dort gepflegte politische Anschauung, ist mindestens so schlimm wie das, was der AfD vorgeworfen wird. Nur ihr völliges fachliches Versagen ist noch schlimmer.
Blicken wir erst einmal auf die technische Seite. Es ist auffällig, dass zwei AfD-Politiker besonders eifrig zitiert werden: Maximilian Krah und Christina Baum. Grob geschätzt, stammt mindestens ein Drittel der angeführten Zitate nur von diesen beiden ‒ was, bezogen auf eine Partei, die nach den Angaben in diesem Gutachten 55.000 Mitglieder hat, doch eine sehr enge Auswahl darstellt. Selbst wenn beide zumindest Positionen im Parteivorstand hatten ‒ hier geht es um eine Bewertung der gesamten Organisation.
Ansonsten ist das ein sehr umfangreicher Zettelkasten, der aber eines vollkommen vermissen lässt: eine wirkliche nachrichtendienstliche Bewertung. Das ist verblüffend, denn man sollte davon ausgehen, dass genau das von einem Nachrichtendienst geliefert wird. In diesem Zusammenhang würden aber zu Zitaten noch weitere Informationen gehören: Wenn beispielsweise, was tatsächlich geschieht, Bezug auf Facebook-Posts genommen wird, wäre eine Bewertung der Reichweite das absolute Minimum. Man müsste, wenn man auch nur Kriterien, die in der Sozialforschung üblich sind, anwendet, erwarten, dass die Zettel dieses Sammelsuriums auch statistisch bewertet werden. Das ist machbar, auch mit öffentlich zugänglichen Informationen. Dabei ginge es nicht nur darum, ob jemand mal etwas gesagt hat, was verdächtig scheint, sondern auch darum, welches Gewicht Aussagen zu diesem Thema und Aussagen dieser Qualität in der gesamten Kommunikation dieser Person haben.
Nein, da finden sich Zitate unterschiedlichster Qualität ohne weitere Zuordnung aus einem Zeitraum von mehreren Jahren. Vielfach handelt es sich dabei um Reaktionen auf konkrete Vorfälle, wie die Ermordung einer 14-Jährigen aus Illerkirchberg durch einen eritreischen Asylbewerber, oder den Angriff eines Afghanen auf einen Zweijährigen in Aschaffenburg. Dabei werden die Aussagen nicht in Verbindung mit den Vorfällen gesehen, sondern teils sogar über unterschiedliche Abschnitte des Gutachtens verteilt, ohne dass der Kontext nachvollziehbar wäre. Der aber ist wichtig ‒ wenn in einem konkreten Fall (und davon gab es mehrere) beispielsweise ein Ausreisepflichtiger, der bereits als psychiatrisch auffällig bekannt ist, aber aus nicht nachvollziehbaren Gründen weder eingewiesen noch abgeschoben wurde, eine solche Tat begeht, dann sind entsprechende Vorwürfe an die politisch Verantwortlichen mehr als angebracht.
Wobei es ja selbst bei diesen Aussagen mehrfach einen Widerspruch zur Kernthese des ganzen Dokuments gibt, nämlich, dass die AfD einen völkisch-abstammungsmäßigen Volksbegriff vertrete. Da gibt es beispielsweise (auf Seite 971) ein Zitat von Björn Höcke vom Januar 2025, in dem dieser die Tatsache kritisiert, dass der Syrer Alaa S. nach Verbüßung von sechs Jahren Haft nicht abgeschoben wird. Das Verwaltungsgericht (VG) Chemnitz hatte 2021 entschieden, er dürfte nicht abgeschoben werden, weil dies der Europäischen Menschenrechtskonvention widerspreche.
"Die von Höcke geäußerte Forderung, die Europäische Konvention der Menschenrechte in Gänze auszusetzen, um einen verurteilten Straftäter ohne deutsche Staatsbürgerschaft ‒ trotz vorliegender menschenrechtlicher Bedenken und humanitärer Gründe, die einer Abschiebung entgegenstehen ‒ abzuschieben, ist in letzter Konsequenz als rechtsstaatswidrig zu werten und steht im Widerspruch zu Deutschlands völkerrechtlicher Verpflichtung als EMRK-Mitglied."
Nun. Letztlich sagt hier die Bundesbehörde BfV, dass so gut wie kein verurteilter Straftäter ohne deutsche Staatsbürgerschaft abgeschoben werden darf, außer vielleicht, er kommt aus den USA oder Westeuropa. Übrigens ist dabei dem BfV nicht aufgefallen, dass der Fluchtgrund, der bei den meisten Syrern, die nach Deutschland kamen, einmal angenommen wurde, inzwischen gar nicht mehr existiert, weil Syrien mittlerweile von den von der damaligen Bundesregierung gewünschten Islamisten regiert wird ‒ also die Grundlage des Urteils des VG Chemnitz von 2021 entfallen ist. Was natürlich nicht heißt, dass die Lage in Syrien jetzt menschenrechtlichen Kriterien entspricht ‒ ganz im Gegenteil, sie tut es weniger als in den Jahren davor. Aber entweder war die Begründung für die Aufnahme damals gelogen, oder die Begründung für die Nicht-Abschiebung ist es heute ‒ beides kann man nicht haben, außer man erklärt den dauerhaften Aufenthalt in Deutschland zu einem Menschenrecht.
Wirklich pikant ist die Äußerung Höckes allerdings dann, wenn man davon ausgeht, die AfD, und Höcke als Person, verträten tatsächlich den unterstellten völkisch-abstammungsmäßigen Volksbegriff. Das Opfer des besagten Syrers war nämlich Daniel H., ein Deutschkubaner. Wenn Höcke also hier nach den "Menschenrechten der Deutschen" fragt, ist ein Deutscher mit Migrationshintergrund sogar der Auslöser dieser Frage und mitnichten ausgeschlossen. Was sich, nebenbei, bei dem Mord in Illerkirchberg ähnlich verhält, das 14-jährige Opfer war türkischer Abstammung. Es ist zwar nicht zu bestreiten, dass es oft eine Trennung zwischen "unseren" und "denen" gibt, aber die "Unseren" schließen eben durchaus auch Deutsche mit Migrationshintergrund mit ein.
Wenn man aber den Zusammenhang mit der auslösenden Tat streicht, wird dieser Widerspruch nicht sichtbar. Was gerade bezogen auf die erwähnte Äußerung von Höcke schon deshalb besonders putzig ist, weil eben dieser Mord der Auslöser für die Demonstration in Chemnitz war, zu der die damalige Bundeskanzlerin Angela Merkel die Geschichte von der "Hetzjagd auf Ausländer" erfand, die nachweislich falsch war, aber zur Absetzung des damaligen Verfassungsschutzpräsidenten Hans-Georg Maaßen führte, der dieser Erzählung zu widersprechen wagte. Praktischerweise hatte man damals in der Berichterstattung meist verschwiegen, dass das Opfer einen kubanischen Vater hatte und, auch das noch, in der linken Szene unterwegs war.
Diese Passage ist jedenfalls ein hübscher Musterfall, um der Argumentation weiter zu folgen:
"Höcke kritisiert dabei nicht nur die konkrete Gerichtsentscheidung des VG Chemnitz, was noch nicht verfassungsschutzrelevant wäre. Vielmehr fordert er die allgemeine Außerkraftsetzung bindender Menschenrechte ‒ die auch die Menschenwürdegarantie des Grundgesetzes tangieren ‒ und zielt damit letztlich auf die (widerrechtliche) Rückführung von Menschen mit Migrationsgeschichte ab, die seiner völkisch-ethnischen Vorstellung nach kein Bleiberecht in Deutschland haben."
Hier nimmt das BfV selbst eine politische Position ein. Immerhin reden wir von einem wegen eines Tötungsdelikts verurteilten Flüchtling, der, wie allein der Verweis des VG Chemnitz auf die Europäische Menschenrechtskonvention belegt, nur subsidiären Schutz genießt, kein individuelles Asyl. Das BfV postuliert, ganz nebenbei, ein Bleiberecht selbst für verurteilte Straftäter dieser Kategorie und erklärt, dies abzulehnen belege eine "völkisch-ethnische Vorstellung".
In der weiteren Folge erklärt das BfV dann, Höcke missachte auch "den grundsätzlichen Vorrang des Unionsrechts". Dumm nur, dass dieses Unionsrecht, dem in diesem Zusammenhang auch vom BfV Verfassungsrang verliehen wird, per Vertrag und nicht per Referendum etabliert wurde. Nachdem schon das Grundgesetz als Verfassung mindestens schwach legitimiert ist, weil nie durch ein Referendum bestätigt, ist eine Abgabe darin enthaltener Rechte an ein EU-Recht, das selbst wieder nicht durch ein Referendum bestätigt wurde (nach zwei gescheiterten Anläufen in Irland und Frankreich fand Brüssel es damals klüger, das Volk nicht mehr zu befragen), geradezu ein Legitimationsmangel in Potenz. Man sollte davon ausgehen, dass jemand, der die Verfassung schützen soll, mal den einen oder anderen Gedanken auf verfassungsrechtliche Probleme verschwendet hat. Da ist das Amt unübersehbar blank.
"Höcke möchte das aktuell geltende Recht nicht bei der Entscheidung über die Abschiebung angewendet sehen und ignoriert damit den Grundsatz des Vorrangs des Gesetzes."
Hier haben wir ein Demokratieproblem. Die Verwaltung ist an Recht und Gesetz gebunden. Die Staatsbürger sind daran gebunden, die Grenzen des Strafrechts einzuhalten. Selbstverständlich darf aber ein Politiker oder überhaupt ein sich politisch äußernder Mensch abweichende Forderungen aufstellen. Warum? Weil Recht und Gesetz, zumindest dem theoretischen Idealfall nach, nichts anderes sein können als der geronnene Wille des Souveräns, also des Volkes, und eine Bindung des Souveräns in der Weise, wie sie dem BfV vorzuschweben scheint, hätte zwangsläufig einen völligen rechtlichen Stillstand zur Folge, gewissermaßen ein Abschneiden des Rechts von seiner Quelle, weil jede Änderung eine Abweichung vom bereits Bestehenden ist. Das ist der rechtsphilosophische Kern, warum die Tätigkeit dieser Behörde, des BfV, noch im günstigsten Fall problematisch ist: weil der Wille des Souveräns in der politischen Debatte gebildet wird (wozu die Parteien beitragen sollen), die Arbeit des BfV, sofern es um die politische Landschaft Deutschlands geht (Spionageabwehr ist ein anderes Feld), aber genau in diese Willensbildung beschränkend eingreift.
Deshalb wäre es die erste Voraussetzung für die Legitimität dieses Handelns, dass sich die Einzelnen und auch die Behörde als Ganze dieses Problems bewusst sind. Wenn das Gutachten zur AfD eines belegt, dann: Sie sind sich dessen nicht bewusst.
Und nicht nur, dass das Bestreben des ganzen Gutachtens darin besteht, bestimmte Aussagen zu tabuisieren ‒ es findet sich, als Schattenriss gewissermaßen, auch eine politische Stellungnahme der Behörde selbst, die mehr als fragwürdig ist. In derselben Passage zu Höcke:
"Dass er sich hinsichtlich der Rückführungen von Migrantinnen und Migranten nicht an international geltendes Recht gebunden sieht, bekräftigt vor allem seine abermalige Äußerung, es gebe 'kein internationales Recht, das das Recht eines souveränen Volkes brechen könnte, selbst darüber zu entscheiden, mit wem es zusammenleben will und mit wem nicht.' Seine Ausführungen belegen in letzter Konsequenz eine willkürliche rechtliche Schlechterstellung von Menschengruppen auf der Basis eines imaginierten 'Recht[s] eines souveränen Volkes', was diese in ihrer Menschenwürde verletzen würde und auch dem Rechtsstaatsprinzip zuwiderläuft."
Aha. Wer, wenn nicht das souveräne Volk, von dem (Art. 20 Abs. 2 GG) alle Macht ausgeht, soll diese Entscheidung sonst treffen? Oder, andersherum, wie kann eine Gesellschaft demokratisch sein, deren Souverän von außen bestimmt wird?
Und wie anders soll man diese Formulierung des BfV lesen, dass eine "willkürliche rechtliche Schlechterstellung von Menschengruppen" die Menschenwürde verletzt und gegen das Rechtsstaatsprinzip verstößt, als dass das BfV selbst hier dafür eintritt, das Kriterium der Staatsbürgerschaft aufzuheben und in Anwesendenrecht zu verwandeln, weil andernfalls in jeder denkbaren Variante "Menschengruppen willkürlich" ‒ nämlich durch Willensentscheid des Souveräns, also durch Setzung von Recht ‒ "rechtlich schlechtergestellt" würden?
Wäre das die einzige Stelle, an der diese Vorstellung durchscheint ‒ eigentlich müsste jeder Mensch einen Anspruch darauf haben, sich in Deutschland niederzulassen, und jeder, dem diese Vorstellung unheimlich ist, sei ein Verfassungsfeind ‒, könnte man darüber hinweggehen. Aber genau das ist, was sich als implizite Botschaft immer wieder findet.
Der Abschnitt über "Antisemitismus" ist übrigens wirklich reine antideutsche Argumentation. Weil "Soros" eine antisemitische Chiffre ist, so wie auch "Globalisten", und so etwas wie das WEF und der Great Reset natürlich alles reine Verschwörungstheorie, einschließlich der erlaubten Beimischung von Insektenpulver in Nahrungsmitteln. Ja, der Ex-WEF-Chef Klaus Schwab wird sogar zum "Ehrenjuden" ernannt: "Personen, die ‒ wie Klaus Schwab ‒ nicht jüdisch sind, die jedoch mit antisemitischen Negativattributen belegt und beschrieben werden, wie sie typischer- und traditionellerweise auf Jüdinnen und Juden angewendet werden." Das ist klassisches antideutsches Geschwurbel und passt in dieser Hinsicht zur eigenartigen Position zur Migration. Als wäre das ganze, mehr als 1.000 Seiten umfassende Papier in einer nächtlichen Besetzungsaktion einer antideutschen Anarchistentruppe entstanden und nur versehentlich in den Büroverteiler geraten.
Mehr zum Thema ‒
Quelle:
AfD-Gutachten: Ein Argument für die Auflösung des Verfassungsschutzes (Teil II)
18 Mai 2025
Man muss sich durchbeißen, durch diese mehr als tausend Seiten, und wirklich klüger ist man hinterher nicht. Geschweige denn davon überzeugt, wie böse die AfD ist. Aber darüber, wie sich diese Behörde Dinge zurechtbiegt und welches Denken dort herrscht, erfährt man einiges.
![[Bild: 68274cb6b480cc10810021d9.jpg]](https://mf.b37mrtl.ru/deutsch/images/2025.05/article/68274cb6b480cc10810021d9.jpg)
Verfassungsschutzchef Thomas Haldenwang und die damalige Innenministerin Nancy Faeser bei der Vorstellung des Verfassungsschutzberichts 2023 (Berlin, 18. Juni6.2024) - Quelle: © IMAGO/Frederic Kern
Von Dagmar Henn
Dieser Verfassungsschutz hat es nicht mit der Verfassung. Die Liste dessen, was nicht gesagt werden darf, ist ziemlich lang. Ein Beispiel ist Kritik an den Leitmedien:
"Die Unterstellung, die etablierten Medien agierten lediglich im Interesse der Regierungsparteien und beeinflussten auf diese Weise Wahlentscheidungen, ist dazu geeignet, die Legitimität von Wahlergebnissen bei Bürgerinnen und Bürgern generell in Zweifel zu ziehen, weil diese nicht ungefiltert den eigentlichen Wählerwillen zum Ausdruck brächten."
Das läuft übrigens unter Demokratiefeindlichkeit. Nun gibt es nicht nur statistische Belegung für eine unterschiedliche Behandlung der Parteien beispielsweise im öffentlich-rechtlichen Fernsehen, es gibt sogar eine soziologische Theorie über Einschränkungen des Diskursfelds, das sogenannte "Overton-Fenster". Die inhaltliche Positionierung des BfV findet sich hier im Wort "Unterstellung". Was nun, wenn es eben keine Unterstellung, sondern eine Tatsache ist? Müssten dann nicht auch die entsprechenden Aussagen anders gewertet werden? Und gibt es nicht ausreichend Belege, unter anderem im Zusammenhang mit den Corona-Maßnahmen, dass die Berichterstattung sehr wohl nachweislich extrem eingeengt war?
Anderes Beispiel: Es wird ein Redebeitrag der Europaabgeordneten Christine Anderson auf dem Parteitag der AfD in Riesa am 11. Januar dieses Jahres zitiert.
"Die Antragsteller [...] beantragen, in unser Wahlprogramm die Abschaffung des § 188 StGB ‒ im Volksmund als 'Majestätsbeleidigung' bekannt ‒ aufzunehmen. Der Punkt ist einfach der, liebe Freunde: Der Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck hört ja nun nicht auf, ein Schwachkopf zu sein, nur weil er diese, wie ich finde, doch sehr zutreffende Bezeichnung strafrechtlich sanktionieren lässt. Nein, es macht es schlimmer. Es macht ihn zu einem totalitären Schwachkopf. Liebe Freunde, ein freiheitlicher Rechtsstaat, der strafrechtliche Normen missbraucht, um Bürger wegen Kritik an Regierungsmitgliedern zu schikanieren, zu verfolgen und zu kriminalisieren, hört eben auf, ein freiheitlicher Rechtsstaat zu sein."
Der Kommentar des BfV dazu: "Damit kritisiert Anderson nicht nur die Strafrechtsnorm des § 188 StGB, sondern behauptet zugleich, die Bundesrepublik sei nicht länger ein Rechtsstaat."
Womit die gute Frau Recht hat. Interessant ist aber, dass es sich hier nicht nur um legitime, nein, vielmehr um essenziell nötige Kritik an einem verfassungswidrigen Gesetz handelt, die das BfV, weil eben die Rechtsstaatlichkeit infrage gestellt wird, als Beleg für Verfassungsfeindlichkeit heranzieht. Dabei ist es gerade das Entscheidende am § 188 StGB und seiner Anwendung, dass sie einen extremen Eingriff in das Grundrecht der Meinungsfreiheit darstellen und die Schlussfolgerung, es handele sich dabei um eine Verletzung der Rechtsstaatlichkeit, unzweifelhaft eine Reaktion ist, die darauf abzielt, dieses Grundrecht und damit die Rechtsstaatlichkeit zu schützen. Der Verfassungsschutz definiert also den Schutz der Verfassung als verfassungsfeindlich.
Nur, um zwischendrin auch etwas Unterhaltung zu bieten ‒ Humor hat die Behörde selbstverständlich auch nicht. Der Hintergrund ist diesmal das Urteil gegen Höcke wegen des Satzes "Alles für Deutschland", das natürlich auch für das BfV eine ganz zentrale Rolle spielt. Es geht um ein Video dreier AfD-Politiker vom September 2024:
"'Jetzt ist natürlich das wache Auge ‒ Götz Frömming ist ja zuständig für Social Media in unserer Fraktion [...] Da können wir uns jetzt hier keinen Fauxpas erlauben, ne?'
Frömming reagierte darauf mit folgenden Äußerungen:
'Ich hoffe, ihr habt nichts Falsches gesagt. [...] Alles für Brandenburg? Darf man das sagen eigentlich, Stefan?'
Alexandra Kloß warf ein: 'Das geht!', während Brandner entgegnete: 'Ja, alles von Brandner und alles für Brandenburg!'
Frömming antwortete zuletzt:
'Alles für Brandner, alles von Brandenburg und für Brandenburg! Ich wünsche noch viel Erfolg!!'
Auch hier erfolgt seitens der Beteiligten weder eine ernsthafte Auseinandersetzung mit dem Gerichtsurteil noch eine Distanzierung von den Äußerungen Höckes."
Ja, gelegentlich findet sich ungewollte Komik in diesem Machwerk. Auch wenn man sich nicht genauer ausmalen will, welche Variante von Korinthenkacker an dieser Stelle nicht erkennen kann, dass es sich schlicht um Scherze handelt, und gerne auf die Vorstellung verzichtet, wie die drei Protagonisten stattdessen in sich gehen und sich schon vom Gedanken des Scherzes distanzieren.
Das Motiv taucht übrigens noch einmal auf. Da wird der Partei vorgehalten, mit dem Spruch "Alice für Deutschland" eigentlich auch eine Naziparole genutzt zu haben. Ein Gespür dafür, wie zweifelhaft und lächerlich schon das ursprüngliche Gerichtsverfahren selbst ist, ist jedenfalls auf den Fluren des BfV nicht zu finden.
Die Frage der Souveränität darf man übrigens auch nicht aufwerfen. Nicht, dass da Ereignisse wie die um Nord Stream Zweifel aufkommen ließen. Äußerungen, da würden Entscheidungen nicht in Deutschland getroffen, sind ebenfalls unzulässig:
"Sie zielen darauf ab, dass die Bevölkerung nicht mehr darauf vertrauen könne, dass gewählte Parteien auch die Entscheidungen treffen, die sie als im Interesse der Bevölkerung liegend erachten, sondern von vornherein den Interessen etwa der USA folgten. Es soll nicht nur ein Gefühl der unüberwindbaren Distanz zwischen dem Volk und der Regierung erzeugt, sondern auch ein tiefes Misstrauen in die staatliche Ordnung an sich geweckt werden, sodass die verfassungsmäßige Ordnung, wie sie derzeit besteht, im Ergebnis als abzulehnen erscheint."
Man könnte das als Musterfall einer Verschwörungstheorie verwenden. Nach der Argumentation des BfV sind Aussagen, die Vorfälle wie etwa die Nichtreaktion auf die Sprengung von Nord Stream thematisieren, gar nicht auf die Vorfälle und deren Bedeutung gerichtet, sondern finden nur statt, weil sie einer heimtückischen Absicht nützen, "dass die verfassungsmäßige Ordnung [...] als abzulehnen erscheint". Das impliziert zugleich, da wäre gar keine Empörung über eine Politik, die sich gegen die Interessen der deutschen Bevölkerung richtet. Nein, es geht um die Erzeugung eines "Gefühls der unüberwindbaren Distanz". Wahrscheinlich gibt es auch irgendwo eine geheime Hexenküche, in der diese Manipulationen ausgekocht werden... dass sie mit realen und materiell höchst wirkmächtigen Entscheidungen verknüpft werden, die etwa die Energiepreise explodieren lassen, ist entweder reiner Zufall oder nur das Ergebnis besonders sinistren Talents...da ist man nur noch einen kleinen Schritt von Hagelzaubern und Scheiterhaufen entfernt.
2022, das sei noch erwähnt, weil die Reaktion so absurd ist, schrieb der AfD-Kreisverband Würzburg auf Facebook einen Kommentar zu polnischen Reparationsforderungen und lehnte sie ab. Was das Bundesamt für Verfassungsschutz so kommentierte:
"Der AfD-Kreisverband Würzburg negiert, dass eine Forderung von Reparationszahlungen im Jahr 2022 rechtens sein könne [...]. Damit wird die Forderung Polens ‒ ohne dass beispielsweise eine Abwägung unterschiedlicher Rechtsauffassungen über die völkerrechtliche Abgeschlossenheit von Reparationszahlungen der Bundesrepublik vorgenommen wird ‒ pauschal als unberechtigt dargestellt. [...] Damit wird ohne Benennung der vom Deutschen Reich zu verantwortenden, planmäßigen Verheerungen eine Täter-Opfer-Umkehr vorgenommen. Dies stellt eine Verharmlosung der Verbrechen dar, die das NS-Regime gegen Polen und auf besetztem polnischem Territorium begangen hat."
Das Bundesamt für Verfassungsschutz – eine Bundesbehörde, die eigentlich nur die Wirklichkeit abbilden soll – hält es also für angemessen, die Übernahme der Regelungen zur Oder-Neiße-Grenze im Zwei-plus-Vier-Vertrag zu ignorieren. Stattdessen wird ein Festhalten an der darin festgelegten Tatsache, dass mit der Anerkennung dieser Grenze – also dem Verzicht auf Danzig und Schlesien – entsprechende Gebietsansprüche abgegolten sind, vom Amt als Verharmlosung der NS-Verbrechen etikettiert. Eine Bewertung, die unverkennbar nicht seine Aufgabe ist. Aber wenn man das Fass schon einmal aufmacht ‒ wie wäre es denn dann mit russischen Reparationsforderungen?
Jetzt aber zu den ernsteren Fragen. Alles, was der Partei vorgehalten wird, sind Worte. Meinungsäußerungen. Nirgends gibt es einen Vorwurf der Anwendung von Gewalt. Die einzige Stelle, die auch nur ansatzweise in diese Richtung geht, ist eine Erwähnung des Widerstandsrechts nach Artikel 20 Absatz 4 GG in einem Chat. Dieses Recht lautet: "Gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen, haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist." Ein Chat, keine Schulungen zum Thema, keine materiellen Vorbereitungen... nicht zu vergessen, eine Referenz auf dieses Recht bewegt sich innerhalb des Rahmens des Grundgesetzes. Wem das nicht passt, der kann ja versuchen, es zu streichen.
In der wirklichen Welt flackert dieses Lämpchen schon spätestens seit den Corona-Maßnahmen, und spätestens seit der Aussage von Bundeskanzler Friedrich Merz, die Taurus-Raketen an die Ukraine liefern zu wollen, leuchtet es tiefrot. Denn es ist kaum ein schwererer Angriff auf die Menschenrechte aller im Land Anwesenden (nicht nur der Staatsbürger) vorstellbar, als das Land in einen Krieg zu ziehen, was Merz zumindest willentlich in Kauf nimmt. Aber mit der Wirklichkeit hat die Behörde so ihre Probleme.
Wenn es nur um Worte geht, nicht um Handlungen, ist da eigentlich nichts vorzuwerfen. Fremdenfeindlichkeit? Kein Gesetz kann vorschreiben, wem man freundlich und wem man feindlich gesonnen ist. Fremdenfeindliche Handlungen, das ist etwas anderes. Aber auch Vorurteile sind legitime Meinungen.
Mehr noch. Es ist, im Interesse politischer Stabilität wie auch der demokratischen Willensbildung, nicht einmal nützlich, Ansichten, die von größeren Teilen der Bevölkerung geteilt werden, zu tabuisieren. Weil selbst eine Änderung der Ansichten ein Gespräch voraussetzt. Ansichten, die auszusprechen verboten ist, ändern sich auch nicht. Wenn es möglich sein soll, einen Konsens zu finden, was die Anwesenheit einiger Millionen Einwanderer im Land betrifft, setzt das voraus, die unterschiedlichsten Positionen hörbar zu machen. Wenn a priori deklariert wird, eine Ablehnung dieser Tatsache sei illegitim, heißt das in letzter Konsequenz, diese Position gewaltsam und gegen den Willen eines größeren Teils der Bevölkerung durchzusetzen. Das kann aber nicht demokratisch sein.
Tatsächlich wird schon der Wunsch, größere Teile der Einwanderung der letzten zehn Jahre (die immerhin unter dem Etikett des "vorübergehenden Schutzes" erfolgte) wieder rückgängig zu machen, vehement als verfassungsfeindlich oder eben "gesichert rechtsextrem" bewertet, was nicht nur eben dieses Etikett ad absurdum führt, sondern zugleich die Mittel der staatlichen Gewalt, zu denen auch das Bundesamt für Verfassungsschutz gehört (erst recht, seit es Debanking und ähnliche Freundlichkeiten als extralegale Strafen verhängt), dagegen in Stellung bringt, um schon die Äußerung dieser Sicht unmöglich zu machen. Im Kern unter der Vorgabe, das sei rassistisch und daher eine Gefahr, vor der die Gesellschaft geschützt werden müsse.
Was das ganze Elaborat allerdings vollständig absurd macht, ist die politische Realität rundherum. Denn es wäre kein allzu großer Aufwand, mithilfe zusammengesuchter Politikeraussagen aus den letzten Jahren ein ebensolches Kompendium zu erstellen, das für SPD, CDU und Grüne belegt, wie rassistisch sie sind. Mithilfe künstlicher Intelligenz müsste sich das in Rekordzeit bewerkstelligen lassen. Wobei es in diesem Fall eben nicht bei Worten bleibt, sondern sich diese Überzeugung in Gestalt der Waffenlieferungen an die Ukraine sogar in konkrete physische Vernichtungsabsicht umsetzt, was ein ganz anderes Gewicht besitzt.
Was bleibt dann von den Vorhaltungen gegen die AfD? Und was ist noch die Grundlage, eine politische Instrumentalisierung dieser Behörde zu verleugnen, wenn das Parallelgutachten mühelos zu erstellen wäre, nach dem von der deutschen Parteienlandschaft so gut wie nichts mehr übrig wäre? Welche Begründung gibt es, warum es ein Verstoß gegen die Menschenrechte ist, Asylbewerbern Gewaltbereitschaft zu unterstellen, aber keiner, wenn man das Gleiche bei Russen tut? Warum generiert das eine einen Beobachtungsfall für den Verfassungsschutz, das andere aber nicht? Und wie kann man selbst wiederholt so etwas von sich geben und so handeln, und gleichzeitig ohne Schamröte das Verbot der AfD fordern, weil sie rassistisch sei? Oder Höcke sein "Alles für Deutschland" zum Vorwurf machen, und selbst tagein, tagaus Goebbels Lieblingsvokabel "kriegstüchtig" gebrauchen, noch dazu gegen den gleichen vermeintlichen Gegner?
Das Gutachten belegt, dass man auf die Behörde, die so etwas produziert, problemlos verzichten kann. Im Jahr 2023 erhielt dieses Amt 468,7 Millionen Euro aus dem Bundeshaushalt. Da sollte man wenigstens ein Minimum an wissenschaftlichen Standards oder verfassungsrechtlicher Reflexion erwarten können, und kein Elaborat, für das ein Haufen Zitate aufgestapelt werden, ohne dass bei der Bewertung die wirkliche Welt oder auch nur die Statistik eine Rolle spielen. Die Aufgabe eines Nachrichtendienstes ist es nicht, einer Regierung das zu liefern, was sie gerne hören will. Es ist seine Aufgabe, Informationen über die Wirklichkeit zu liefern. Mit möglichst umfassender technischer Bewertung, aber nicht garniert mit eigenen politischen Fantasien.
Vielleicht sind die Kölner Schlapphüte (und Schlapphütinnen) ja gut, wenn es darum geht, politische Organisationen zu infiltrieren und Unfug wie die antideutsche Ideologie zu verbreiten. Aber was Analyse angeht, sind sie eine Katastrophe. Umso mehr, als ihnen auch noch der Verstand abgeht, vor einem verhängnisvollen Schritt wie einem AfD-Verbot zu warnen. Es wundert nicht, dass dieses Papier geheim bleiben sollte. Es verrät nämlich weit mehr über den Verfassungsschutz selbst als über die AfD, und das, was dabei herauskommt, spricht vor allem für eines: Diesen Laden braucht kein Mensch.
Mehr zum Thema ‒
Quelle:
"Wenn Unrecht Gesetz wird,wird Rebellion Pflicht."
Der Klartexter
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